Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]

93 1.3 Wahrnehmung und soziale Welten Unterschiedliche Wahrnehmungsformen wirken sich auch auf unser soziales Verhal- ten aus. Damit ist nicht allein gemeint, dass wir Menschen, die wir nicht sehen wollen oder nicht zu sehen vermuten, auch in der Tat gar nicht sehen, wenn wir ihnen auf der Straße begegnen. Vielmehr ist an komplexe Formen sozialen Austausches gedacht. Einerseits kommen viele unserer Vorstellungen und nicht zuletzt auch festen Überzeu- gungen aus den sozialen Welten, in denen wir aufgewachsen oder eben sozialisiert worden sind. Andererseits hängen unsere Verhaltensweisen in den sozialen Welten, in denen wir einander begegnen, stark davon ab, wen oder was wir überhaupt wahrneh- men – und wie wir es tun. Wir bahnen Freundschaften oder Beziehungen an, weil wir jemanden interessant oder sympathisch finden oder das Gefühl haben, es gäbe Gemeinsamkeiten zwischen uns. Wen wir überhaupt treffen, hängt bereits sehr stark davon ab, an welchen sozialen Orten wir uns überhaupt aufhalten. In einem Hörsaal werden wir vielleicht andere Menschen treffen als in einem Fußballstadion, bei einem Rockkonzert andere als in einer Oper. Keine Frage, es gibt Menschen, die studieren, in die Oper gehen, Rockkon- zerte besuchen und auch häufig in Fußballstadien anzutreffen sind. Allerdings können sie wohl eher als Ausnahmeerscheinungen gelten und als nicht besonders repräsen- tativ für die Mehrzahl der Menschen, die sich üblicherweise an den genannten Orten aufhalten. Durch die Beschränkung, wen wir unter bestimmten Umständen überhaupt treffen können, sind aber bereits Rahmenbedingungen geschaffen, die durchaus auch unserem Einfluss unterliegen. Man kann die Orte, an die man sich begibt, aufgrund von Interesse auswählen, beruflicher Umstände wegen aufsuchen, aus Kalkül anstre- ben oder aus einer Notsituation dorthin geraten. Jemand kann also zu einer Cocktail- party gehen, weil er das gern möchte, weil es zu seinem Job gehört, weil er hofft, dort Geschäfte auf den Weg bringen zu können, oder um Mitleid zu erregen, weil ihm der Konkurs droht. Je nachdem wird er sein Umfeld völlig anders wahrnehmen – und von diesem gänzlich verschieden wahrgenommen werden: als entspannter Gesprächs- partner, akkurater oder angespannter Angestellter, umtriebiger Geschäftsmann oder als jemand, dem das Wasser bis zum Hals steht. Befinden wir uns in einer bestimmten Gesellschaft, hängt die weitere Entwicklung unserer sozialen Beziehungen dort wiederum davon ab, wen wir wie wahrnehmen und wie wir selbst wahrgenommen werden. Schwerlich kommen wir mit Leuten ins Gespräch, die uns völlig kalt lassen, außer wir legen es genau darauf an, beispiels- weise weil wir von ihnen etwas Bestimmtes möchten. Wer uns allerdings interessiert, hängt sehr stark von früheren Erfahrungen, Vorannahmen und Wertigkeiten ab, kurz von all den Faktoren, die unsere Wahrnehmung auch sonst lenken und in ihrer konkreten Form ermöglichen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Was fällt Ihnen an anderen Menschen zuerst auf? Notieren Sie möglichst spontan, worauf Sie bei anderen achten! GrundlaGen Sozialisation Anpassung an die Denk und Empfindungs­ weisen in einer sozialen Umgebung durch Verinnerlichung (Internalisierung) sozialer Regeln und Vorgaben (Normen) 1 úú Kapitel 3 Soziale Phänomene Soziale Phänomene 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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