Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]

9 In seiner Erzählung „The purloined letter“ (1845) lässt Edgar Allan Poe eine ganze Polizeitruppe im Haus des Verdächtigen nach einem entwendeten Brief suchen – ver- geblich. Erst der Detektiv Auguste Dupin entdeckt ihn – gut sichtbar mitten auf dem Kaminsims. Der Dieb hatte ihn absichtlich dorthin gelegt, weil er davon ausgegangen war, dass die Polizisten nur suchen würden, wo sie selbst etwas versteckt hätten. Weit hergeholt, finden Sie? Ist es Ihnen noch nie passiert, dass Sie etwas nicht gesehen haben, obwohl es sich vor Ihrer eigenen Nase befand? Doch? Das ist ebenfalls seltsam, oder? Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Besprechen Sie mit Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznachbarn, was die beiden Beispiele mit Psychologie zu tun haben! Halten Sie Ihre Ergebnisse schriftlich fest! „Die Maßnahmen“, fuhr er fort, „waren auf ihre Art gut, […] ihr Mangel bestand darin, dass sie weder dem Fall noch dem Mann angemessen waren. […] Der Prä­ fekt und seine Truppe […] kennen nur ihre eigenen Ideen von Einfallsreichtum; und wenn sie etwas Verstecktes suchen, denken sie nur an die Arten, auf die sie selbst etwas versteckt haben würden. Sie haben damit ja durchaus recht – sofern ihre eigenen Vorstellungen verlässlich jene der Masse repräsentieren. Doch wenn die Cleverness des einzelnen Verbrechers sich grundsätzlich von ihrer eigenen unterscheidet, täuscht er sie natürlich.“ Edgar Allan Poe: The purloined letter (1845), in: Poe, Tales of Mystery and Imagination (1984), S. 502, 504. Das Unvermögen der Polizisten liegt in Poes Erzählung darin, dass sie nicht in der Lage sind, sich in die Geisteswelt des Diebs hineinzuversetzen. Sie schließen einfach von sich selbst auf andere – ein grober Fehler. Denn es bedarf einer weit differen- zierteren Sichtweise und einer größeren Bandbreite an Möglichkeiten, um angemes- sene Schlüsse auf die Gedanken- und Gefühlswelt anderer Menschen ziehen zu können. In unseren Köpfen spielen sich viele Dinge ab, die uns überraschen könnten. Oft tun sie es nur deshalb nicht, weil wir uns schon so sehr daran gewöhnt haben. Ein ganzes Universum von Gefühlen, Ideen, Vorstellungen gibt es da zu entdecken, und alle wirken sich irgendwie auf unsere Verhaltensweisen aus. Aber einfach sind diese Wirkungszusammenhänge nie. Eher erfolgen sie auf Umwegen, und oft genug ist uns selber nicht ganz klar, wie unser Empfinden, Denken und Handeln in einer bestimm- ten Situation zusammenhängen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Erarbeiten Sie aus der Textpassage Grundbedingungen für Behauptungen der Psychologie! Tun oder denken Sie auch manchmal Dinge, die Sie selbst überraschen? Bilden Sie Gruppen und tauschen Sie sich über Ihre Erfahrungen aus! 1 AuSfüHrunG VErtiEfunG 2 3 r Eine kurze Einführung Eine kurze Einführung 1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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