Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]
20 2.4 Interviews Eine weitere Möglichkeit, zu einer Vielzahl an Daten zu kommen, ist die Durchführung von Interviews. Dabei ist zunächst zu klären, auf welche Art die Interviews später ausgewertet werden sollen. Davon hängt nämlich bereits die Gestaltung und Durch- führung der Interviews ab. Innerhalb der empirischen Sozialforschung lassen sich grundsätzlich qualitative und quantitative Ansätze unterscheiden. Qualitative sozialwissenschaftliche Forschung stellt Fragen nach Sinn und Bedeutung bestimmter Phänomene. Quantitative Forschung steht dagegen eher naturwissen- schaftlichen Ansätzen nahe und versucht sich auf hard facts zu konzentrieren. Eine klare Trennung ist allerdings schwierig, weil in beiden Fällen früher oder später interpretiert wird, aber immer auch Daten erhoben werden müssen. Der Konflikt der beiden Ansätze kreist denn auch in erster Linie darum, auf welche Weise Daten zu erheben sind. Qualitative Zugänge gehen in diesem Bereich von einem höheren Komplexitätsgrad aus als quantitative, weil sie die Bedeutung von Interpretation bereits bei der Datenerhebung voraussetzen. Im Extremfall beschränkt sich quantitative Forschung auf das Ermitteln von Daten, etwa über Interviews anhand von Fragebögen. In der Regel ermöglichen Fragebögen zur quantitativen Datenerhebung den Interviewten nur die Wahl zwischen Antwortalternativen. Die Antworten darauf sind zwar klar und in gewisser Weise eindeutig, sie werfen aber viele neue Fragen auf, die im Rahmen quantitativer Verfahren schwer zu klären sind. Qualitative Verfahren versuchen ihre eigenen Voraussetzungen genauer in den Blick zu nehmen als quantitative. Deshalb gelangen ihre Vertreter/innen häufig zu der Einsicht, dass Begriffe und Aussagen mehrdeutig sind und man von vornherein sehr klar und nicht bloß implizit wissen muss, worauf eine Befragung letztlich abzielt. Ausgehend von einem Leitfaden (anstelle eines Fragebogens) können Fragen mit offenen Antwortmöglichkeiten gestellt werden, die den Befragten die Möglichkeit eröffnen, genauer auszuführen, was sie meinen. Quantitative Verfahren liefern „messbare“ Ergebnisse (100 Befragte haben x geant- wortet, 33 y und 67 z). Das führt oft zu der Einschätzung, ihre Ergebnisse seien „handfester“ als jene der qualitativen Forschung. Eine Zahl, so denken viele, sei eine Zahl und ein x eben ein x. Zudem gehen quantitativ orientierte Forscher/innen meist davon aus, dass sich Interviewer/in und Interviewte nicht gegenseitig beeinflussen. Befragte müssten demnach ganz nüchtern und sachlich Antworten geben, egal wer vor ihnen sitzt und wie sie sich dabei fühlen. So funktioniert menschliches Verhalten aber nicht, und das sollte gerade in der Psychologie Beachtung finden. Qualitative Untersuchungen liefern vielleicht keine „genauen Daten“, dafür aber oft komplexere und insofern „richtigere“ Informationen. Dies gilt umso mehr, als die „genauen Daten“ der quantitativen Forschung eben oft nur scheinbar „exakt“ sind. Vielmehr erweisen sie sich in der Regel durch sprachliche und psychologische Faktoren vorgeprägt. Bleiben diese ausgeblendet, verzerrt dies wiederum das Ergeb- nis. Vielfach wird daher versucht, quantitative und qualitative Verfahren zu verbinden, um so einerseits zu messbaren Ergebnissen zu kommen, diese andererseits aber ange- GrundlaGEn Interview von frz. entrevue , „(verabredete) Zusammen kunft“; in den Sozialwis senschaften ist das Interview ein Hilfsmittel zur Erhebung statistischer Daten und besteht in der gezielten Befragung einer meist nach bestimmten Kriterien ausgewählten Personengruppe. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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