Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]

19 es etwa ganz unzulässig zu sagen, man hätte Jugendliche beim Betrachten bestimm- ter Videos beobachtet, wenn man bei ihnen vor dem Fernsehgerät gesessen und das Gesehene permanent kommentiert hat. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Überlegen Sie sich gemeinsam mit Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznachbarn eine psychologische Forschungsfrage! Wie könnte ein zu ihr passendes Experiment aussehen? Welche Rahmenbedingungen müssten erfüllt sein? Notieren Sie Ihre Überlegungen! Der Verhaltensforscher muss lernen zuzugeben, dass er niemals ein Verhaltenser­ eignis beobachtet, wie es in seiner Abwesenheit „stattgefunden haben könnte“, und dass ein Bericht, den er zu hören bekommt, niemals mit dem identisch sein kann, den derselbe Berichterstatter einer anderen Person gibt. Glücklicherweise werden die sogenannten „Störungen“, die durch die Existenz und das Agieren des Beobach­ ters entstehen, wenn sie entsprechend ausgewertet werden, zu Ecksteinen einer wissenschaftlichen Erforschung des Verhaltens und bleiben nicht – wie man gemeinhin glaubt – bedauerliche Malheurs, die man am besten eilends unter den Teppich kehrt. Georges Devereux: Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften (1984), S. 29. Was der Ethnologe und Psychoanalytiker Georges Devereux hier sehr pointiert auf den Punkt bringt ist, dass der/die Wissenschafter/in als Person im Rahmen empirischer sozialwissenschaftlicher oder psychologischer Forschungen niemals weggedacht werden kann. Sie/Er spielt immer eine Rolle, und welche das ist, sollte ihr/ihm selbst einigermaßen klar sein, zumindest im Nachhinein, wenn es um Analyse, Interpretation und Dokumentation des Forschungsprozesses geht. In der Regel können aus Einzelbeobachtungen keine allgemeinen Thesen oder Aussagen abgeleitet werden. Dies ist im Rahmen empirischer Wissenschaften nur möglich, wenn eine Vielzahl an vergleichbaren Einzelbeobachtungen vorliegt. Werden also Jugendliche beim Ansehen von Gewaltvideos beobachtet, wäre zu klären, welcher Altersgruppe sie angehören, welcher sozialen Schicht sie zugerechnet werden können, welche Ausbildung sie bisher erworben haben, wie es um ihre sozialen Bindungen, ihre Selbstwahrnehmung – etwa in Hinsicht auf ihr soziales Geschlecht (gender) – bestellt ist, und ähnliches. Weichen die Teilnehmer/innen in allen oder mehreren Punkten stark voneinander ab, wird es schwer sein, aus ihren Verhaltens- weisen verallgemeinerbare Schlüsse zu ziehen, etwa zu sagen: Jugendliche werden durch Gewaltvideos zu Gewalt angestachelt. Im Übrigen wäre ein derart undifferen- zierter Satz ohnehin mit einiger Vorsicht zu genießen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Geben Sie mit eigenen Worten wieder, wie Devereux die Rolle von Verhaltensforscher/ innen beurteilt! 1 r AuSfüHrunG VErtiEfunG úú zum induktiven Schlussverfahren Kapitel 6.2.4 úú zu sex und gender Kapitel 9.2 2 Eine kurze Einführung Eine kurze Einführung 1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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