Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]

185 Analytiker versuchen ihre Patienten nicht zu beurteilen oder zu bestätigen; sie geben weder Ratschläge noch Erklärungen über das Leben. Sie sind einzig dazu da, so weit wie möglich zu verstehen und das, was sie verstehen, dem Patienten ange- messen zu vermitteln. […] Das Deuten ist die wichtigste Aufgabe des Analytikers; zugleich ist die Deutung auch sein bedeutendstes Instrument bei der gemeinsamen Erforschung des Unbewussten des Analysanden [d. h. des Patienten]. Eveline List: Psychoanalyse (2009), S. 249. Deutung ist nie eine einfache Sache. Soll sie sinnhaft sein, erfordert sie ein hohes Maß an Sensibilität, aber auch an sprachlichem Sensorium und kritischem Denkver- mögen. Wer nichts hinterfragt, sich an Denkschablonen und Vordergründiges klam- mert, wird keine sinnvollen Interpretationen zustande bringen. Im Zusammenhang psychoanalytischer Therapien kommt hinzu, dass sich das Unbewusste der/des Patientin/Patienten aus vielerlei Gründen sträubt, seine Inhalte preiszugeben. Widerstände werden aufgebaut, zwischen Analytiker/in und Patient/in entstehen unter Umständen gegenseitige Spannungen, die bei der Deutung mitzudenken sind. Nach der psychoanalytischen Theoriebildung sind die Beziehungen zwischen Patient/ in und Therapeut/in von vielfältigen unbewussten Konflikten und Spannungen gekennzeichnet. Unbewusst vorhandene Gefühle und Spannungen werden von der/ dem Patientin/Patienten auf den/die Analytiker/in projiziert oder übertragen. Dies geschieht aber auch in Gestalt einer Gegenübertragung. So kann der/die Patient/in sich im Rahmen der Analyse an einen/eine Lehrer/in erinnern und die Gefühle, die sie/er damals empfunden hat, nun dem/der Analytiker/in entgegenbringen. Derlei geschieht aber auch umgekehrt. Der/Die Analytiker/in sollte sich dessen aber bewusst sein und fragen, warum er/sie beispielsweise feindselige Gefühle gegen eine/n Patientin/Patienten empfindet, und möglichst therapeutischen Nutzen daraus ziehen. So können Angstgefühle in Gegenwart einer/eines Patientin/Patienten auch darauf zurückzuführen sein, dass der/die Patient/in selbst an einem massiven Angstproblem leidet. Bei dem/der Analytiker/in kann dies entsprechende Gefühle auslösen, deren Ursache ihm/ihr zunächst nicht bewusst sein müssen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Beschreiben Sie die Rolle der/des Analytikerin/Analytikers im Rahmen einer Psycho­ analyse! Welche Möglichkeiten hat sie/er, welche Grenzen sind ihr/ihm gesetzt? Können Sie sich Phänomene der Übertragung und Gegenübertragung auch im alltäglichen Leben vorstellen? Diskutieren Sie mit Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznach­ barn darüber und geben Sie Beispiele! 4.5 Verhaltenstherapie Anders als in der Psychoanalyse geht es in verhaltenstherapeutischen Ansätzen – bei allen Unterschieden im Detail – sehr wohl darum, der/dem Patientin/Patienten ganz konkrete Anweisungen zu erteilen. Ursachenforschung spielt hier keine oder nur eine auSFührunG úú Kapitel 7.4 VErtiEFunG 2 3 r GrundlaGEn Motive menschlichen Handelns Motive menschlichen Handelns 5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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