Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]

170 Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass Videospiele Auswirkungen auf die Gewaltbereitschaft haben […]. So fanden Stickgold und Mitarbeiter […], dass in den Schlafepisoden nach längerem Videospiel […] vermehrt bildhafte Komponen- ten des Spiels auftreten. Dies betraf interessanterweise […] die spielrelevanten visuellen Charakteristika der Stimuli. Da man schon seit längerer Zeit vermutet, dass in den Schlafperioden nach Lernperioden das Gelernte nochmals aktiviert und damit Erinnerungsspuren gefestigt werden, spricht dieser Befund für ein besonders intensives „Durcharbeiten“ und Festigen […] der Spielinhalte im Schlaf. Des Weiteren ist der Spieler beim Spielen automatisch mit dem Aggressor identifi- ziert, und man weiß aus Untersuchungen zu Gewalt im Fernsehen, dass der Grad der Identifikation mit dem Aggressor die Gewaltbereitschaft des Fernsehkonsu- menten beeinflusst. Manfred Spitzer: Nervensachen (5. Aufl. 2009), S. 195. Der Psychiater und Neurologe Manfred Spitzer, der uns schon in anderem Zusammen- hang begegnet ist, befasst sich hier mit Videospielen, die Formen der Gewalt zum Inhalte haben. Er vertritt die These, dass Gewaltszenen im Fernsehen und mehr noch in Videospielen auch die Gewaltbereitschaft bei jugendlichen Zuseherinnen/Zusehern und Spielerinnen/Spielern fördern. Diese Position ist keineswegs unbestritten. Andere Forscher/innen meinen, es könne auch das Gegenteil der Fall sein, das virtuelle Ausagieren von Gewalt könne sogar dazu beitragen, dass reale Gewalt gegen andere unterbleibe. Gesellschaftliche Veränderungen haben stets mit Überzeugungsarbeit zu tun. Sie vollziehen sich deshalb langfristig, in welche Richtung auch immer. Oft handelt es sich um Sickerprozesse, in deren Rahmen neue Einsichten, beispielsweise in das Verhältnis von Geschlechtskonstruktion und die Bewertung von Gewalt, über die wissenschaftlichen in die politischen Diskussionen Eingang finden. Erst in weiterer Folge gelangen sie oft in die Sphäre öffentlicher Wahrnehmung. Selbst wenn sie schon in rechtlichen Normen und Regeln verankert sind, dauert es oft sehr lange, bis es auch zu einem Wandel in den Mehrheitsmeinungen kommt. Denken Sie nur an die immer wiederkehrende Diskussion um die angeblich g’sunde Watsch’n . Verboten ist sie längst, als Erziehungsmittel ist sie nach jeder heute relevanten pädagogischen Theorie abzulehnen, aus psychologischer Perspektive kann sie nur traumatisierend wirken, und dennoch meinen noch immer viele Menschen, sie sei harmlos oder sogar hilfreich. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Bilden Sie Gruppen und diskutieren Sie die zitierten Ausführungen Spitzers! Finden Sie Argumente, die dafür, und solche, die dagegen sprechen! Beziehen Sie auch Ihre eigenen Erfahrungen mit Gewalt im Fernsehen und in Videospielen ein! Geben Sie weitere Beispiele für Widersprüche zwischen gesicherten wissenschaftli­ chen Einsichten und tiefen populären Überzeugungen! Finden Sie mit Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznachbarn mögliche Gründe dafür! auSFührunG VErtiEFunG 2 t 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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