Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]
137 3 Entwicklungspsychologische Fragen Auf welche Weise und unter welchen Voraussetzungen entwickeln sich Menschen zu denjenigen Wesen, die sie irgendwann einmal sind? Und kommen derlei Entwicklungen jemals zu einem Abschluss? 3.1 Bindung Mit Sigmund Freuds Phasenmodell haben wir bereits einen einflussreichen entwick- lungspsychologischen Ansatz kennengelernt. Einen wichtigen Punkt haben wir dabei bislang ausgeklammert, nämlich die Frage, ob und inwieweit sich konkrete Bindungen während der Kindheit und Jugend auf spätere Bindungen und Bindungsfähigkeit auswirken. Damit haben sich vor allem der Psychiater und Psychoanalytiker John Bowlby und die Psychologin Mary Ainsworth beschäftigt. Ihnen zufolge entwickeln wir in der Kindheit Muster für unser späteres Bindungsverhalten. Die Art Bindung, die sich in der Kindheit entwickelt, wirkt sich also entscheidend auf späteres Bindungs- verhalten aus. Mary Ainsworth untersuchte in den 1970er-Jahren das Verhalten von Kindern in „fremden Situationen“, also außerhalb ihrer vertrauten Umgebung (Strange-Situation- Test) . Anwesend waren Kinder im Alter zwischen 12 und 18 Monaten, deren Mütter (als primäre Bezugspersonen) und eine den Kindern fremde Person weiblichen Geschlechts als Assistentin. Aufgrund ihrer Beobachtungen unterschied Ainsworth mehrere Formen kindlicher Bindung. Sicher gebundene Kinder (secure): Sie zeigen ein deutliches Bindungsverhalten an ihre Mütter. Im Fall einer kurzzeitigen Trennung rufen sie nach ihr, folgen ihr auch; kehrt sie wieder, zeigen sie Freude. Unsicher-vermeidend gebundene Kinder (avoidant): Sie reagieren auf Trennungen von der Bezugsperson mit wenig Protest, folgen ihr zwar mit den Augen, spielen aber weiter, möglicherweise mit geringerem Interesse als zuvor. Bei Rückkehr der Bezugsperson reagieren sie eher mit Protest, wollen von ihr auch nicht getröstet werden. Unsicher-ambivalent gebundene Kinder (ambivalent): Trennungen von der Bezugsper- son erzeugen bei ihnen Stress, kehrt sie zurück, lassen sich die Kinder kaum beruhi- gen und reagieren mitunter auch aggressiv. Kinder mit desorganisiertem Verhaltensmuster: Einige von Ainsworth beobachtete Kinder konnten keiner der genannten Gruppen zugeordnet werden. Sie wurden als „unsicher-desorganisiert“ beschrieben. Sie zeigten stereotype Verhaltens- und Bewegungsmuster; auch kam es vor, dass sie mitten in einer Bewegung erstarrten (Ainsworth sprach von freezing ). Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Definieren Sie den Begriff Bindung ! Beziehen Sie dazu auch Ainsworths Überlegungen mit ein! GrundlaGen 1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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