Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]
131 2 Sexualität, sex und gender Wie wir gesehen haben, misst insbesondere die Psychoanalyse der Sexualität eine zentrale Rolle im Rahmen der menschlichen Entwicklung und Psychodynamik zu – nicht zuletzt, weil hier stets sehr viel unterdrückt und tabuisiert wird. Doch was bedeutet das genau? Und wie hängen die Begriffe Sexualität und Geschlecht zusammen? 2.1 Sexualität und Entwicklung Der Begriff Sexualität ist bei Freud sehr weit gefasst. Er bezeichnet nicht allein erotische Aktivität und Lust, die vom Funktionieren des Genitalapparats abhängen. Vielmehr umfasst er eine ganze Reihe von Erregungen und Handlungen, die bereits in der Kindheit bestehen und Lust verschaffen. Freud geht davon aus, dass im Hinblick auf die Wahl des Sexualobjekts und die Arten und Weisen, auf die Befriedigung erlangt wird, eine große Variationsbreite besteht. So geht er davon aus, dass zwar der Geschlechtstrieb angeboren sei, ein bestimmtes Objekt allerdings nicht von vornher- ein feststehe. Vielmehr seien Sexualobjekt und Sexualziel zu trennen. Was die Entwicklung des Sexualtriebs anlangt, so unterscheidet Freud mehrere Phasen: Die erste Phase nennt Freud die orale bzw. kannibalistische Phase (Säuglings- alter). Die Sexualtätigkeit ist zunächst noch nicht von der Nahrungsaufnahme getrennt, das Sexualziel besteht in der Einverleibung des Objektes (Lutschen; die Einverleibung spielt später als Identifizierung eine bedeutsame psychische Rolle). Als zweite Phase nennt Freud die sadistisch-anale Phase (2.–3. Lebensjahr). Hier erfolgt die Ausbildung einer Gegensätzlichkeit, allerdings nicht im Sinne von männlich und weiblich, sondern von aktiv und passiv. Die sexuelle Aktivität wird durch den Bemäch- tigungstrieb mittels Körpermuskulatur hergestellt. Das Organ mit passivem Sexualziel ist die erogene Darmschleimhaut. Die dritte, phallische oder ödipale Phase (3.–5. Lebensjahr) kennt Freud zufolge nur ein Genital, nämlich das männliche, den Phallus. Die weibliche Klitoris stellte Freud sich wie erwähnt als männliches, „kastriertes“ Glied vor. Die Triebwünsche seien jeweils auf den gegengeschlechtlichen Elternteil gerich- tet. Der ödipalen Phase folgt in Freuds Modell die Latenzzeit (5.–11. Lebensjahr). Im Zentrum stehen die Sublimierung und die Entwicklung von Scham, Ekel, Moral. Die Latenzzeit geht nach Freud schließlich über in die genitale Phase , etwa ab dem 11./12. Lebensjahr. Die Wahl des Liebesobjekts geht Freud in zwei „Schüben“ vor sich: zunächst im Alter zwischen zwei und fünf Jahren, dann in der Pubertät. Die Sexualziele haben in der Pubertät nach einer Verdrängungsentwicklung eine Milderung erfahren (Zärtlichkeit). Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Stellen Sie fest, welche Bedürfnisse im Zentrum von Freuds Entwicklungsmodell stehen! Bilden Sie Kleingruppen und diskutieren Sie, was für und was gegen diese Perspektive spricht! GrundlaGen oral von lat. os, oris , „Mund“ anal von lat. anus , „After“ phallisch von gr. phállos , „Pfahl“, bezeichnet auch das männliche Glied úú Kapitel 4.1.4 úú zur Sublimierung Kapitel 5.1.2 úú zum Über-Ich Kapitel 4.1.3 1 t Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlag öbv
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