Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]
105 2.3 Anpassung oder Nonkonformismus? Dramatischer als bei den Experimenten von Solomon Asch war das Szenario bei einem Experiment, das Stanley Milgram, ein Schüler von Asch, seit den frühen 1960er-Jahren wiederholt durchführte. Auch hier wurden die eigentlichen Teilnehmer über die tatsächliche Versuchsanord- nung getäuscht. Man teilte ihnen mit, dass sie als Lehrer an einem wissenschaftlichen Versuch teilnehmen würden. Getestet werde der Zusammenhang zwischen Lernerfolg und Bestrafung. Die vermeintlichen Versuchspersonen (tatsächlich Schauspieler/ innen) sollten Wortfolgen auswendig lernen und fehlerfrei wiedergeben können. Dabei seien Stromkabel an ihren Körpern befestigt. Bei Fehlern sollten den Schülerin- nen/Schülern Stromschläge verabreicht werden. Für diesen Vorgang waren die Lehrer zuständig. Auf Anweisung des Versuchsleiters bzw. seines Assistenten sollten sie die Dosis sukzessive steigern. Äußerten sie Zweifel, brachte der Versuchsleiter standardi- sierte Sätze vor, um sie zum Weitermachen zu bewegen (z. B.: „Das Experiment erfordert, dass Sie weitermachen! Sie müssen unbedingt weitermachen!“). Mehr als 60 Prozent der „Lehrer“ machten bis zu einer scheinbaren Stromstärke von 450 Volt weiter, auch wenn die „Schüler“ laute Schmerzensschreie ausstießen. Auch als (vermeintliche) Versuchspersonen weiblichen Geschlechts zugezogen wurden, änderte dies am statistischen Ergebnis nichts. Nur zur Schau gestellte Unsicherheit des Versuchsleiters senkte die Zahl derer, die bereit waren, bis zum äußersten zu gehen: Offenbar hing viel an der Autorität des Versuchsleiters. Nonkonformismus oder gar Auflehnung gegen soziale Normen oder Gruppenzwänge kommt so gut wie nie von Seiten der Mehrheit. Eher sind es Individuen, die sehr kritikfähig und reflektiert oder aber mit bestimmten Zuständen oder Entwicklungen unzufrieden sind und daher andere Verhaltensweisen zeigen als die Mehrheit. Ähnliche Impulse können von einer größeren Zahl von Menschen ausgehen, die zumindest zunächst einmal eine Minderheit darstellen. Auch dramatische Experi- mente wie jene von Zimbardo und Milgram legen diese Tendenz nahe. Ein wenig über Voraussetzungen und Folgen dessen, was man für richtig hält und tut, nachzudenken, ist daher niemals ein Fehler, auch wenn es einem die Missbilligung von Autoritäten oder anderen Mitgliedern einer Gruppe eintragen mag. Man sollte sich dann eher fragen, warum es zu dieser Missbilligung kommt und wie sie zu bewerten ist. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Überraschen Sie Milgrams Ergebnisse? Falls ja, warum? Wenn nein, warum nicht? Notieren Sie Ihre Einschätzung! Die rechtlichen und philosophischen Aspekte von Gehorsam sind von enormer Bedeutung, sie sagen aber sehr wenig über das Verhalten der meisten Menschen in konkreten Situationen aus. Ich habe ein einfaches Experiment an der Yale-Univer- sität durchgeführt um herauszufinden, wie viel Schmerz ein gewöhnlicher Mitbür- ger einem anderen zufügen würde, einfach weil ihn ein Wissenschaftler dazu auf- forderte. Starre Autorität stand gegen die stärksten moralischen Grundsätze der Teilnehmer, andere Menschen nicht zu verletzen, und obwohl den Testpersonen GrundlaGen Stanley Milgram (1933–1984) 1 AusFüHrunG Soziale Phänomene Soziale Phänomene 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum d s Verlags öbv
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=