Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Psychologie Teil]

103 2.2 Gruppendynamik Berühmte psychologische Experimente zum Sozialverhalten von Menschen unter dem Druck von Gruppenmeinungen wurden von einer Forschungsgruppe um Solomon Asch in den 1940er- und 1950er-Jahren durchgeführt. Dabei wurden einer Gruppe von Personen Karten mit Linien von unterschiedlicher Länge gezeigt. Die Teilnehmer/ innen sollten diese Linien mit einer Standardlinie vergleichen und angeben, welche Linien ebenso lang waren wie die Standardlinie. Innerhalb dieser Gruppen gab es jeweils nur eine eigentliche Testperson. Was diese nicht wusste, war, dass alle anderen Anwesenden an einem Spiel mitwirkten, das darin bestand, absichtlich unrichtige Angaben über die Länge der Linien zu machen. Die Testpersonen wurden dadurch in steigendem Maß irritiert, immerhin ein Drittel schloss sich aber der Gruppenmeinung an. Die Mimik aller zeigte zwar Verwirrung und Zweifel, auf eine Konfrontation mit den anderen Teilnehmerinnen/Teilnehmern, die ganz offenbar einer Meinung waren, ließ sich ein signifikanter Teil der Testpersonen nicht ein. Dass dies angesichts einer Frage der Fall war, bei der es im Grunde weder um persönliche Interessen oder Gefühle noch um Weltanschauungen ging, ist doch ziemlich erstaunlich. Wenn sich Verbündete fanden, war die Bereitschaft Widerstand zu leisten, allerdings größer. Asch selbst führte das Phänomen auf das Gewicht sozialer Normen zurück, die sich in Gruppen bilden und denen sich viele Menschen zu unterwerfen bereit sind, sobald sie herausgefunden haben, worin diese Normen bestehen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Erläutern Sie den Begriff der sozialen Norm in eigenen Worten! Ziehen Sie dazu auch den Text im Abschnitt 3.1.5 heran! Ein Teilnehmer wählte eine Linie, die im Widerspruch zur Wahl der anderen Ver- suchspersonen steht. Er scheint erstaunt, ja sogar ungläubig über diese Meinungs- verschiedenheit. Beim nächsten Durchgang ist er wiederum anderer Meinung, während die Wahl der anderen einstimmig bleibt. Der Dissident ist immer bestürz- ter und unschlüssiger, da sich die Meinungsverschiedenheit auch in den folgenden Versuchen fortsetzt. Er zögert, bevor er seine Antwort gibt, spricht mit leiser Stimme oder zwingt sich zu einem peinlichen Lächeln. Solomon Asch: Opinions and social pressure. In: Scientific American, 193 (1955), S. 31. Die Situation ist unangenehm, immerhin sehen alle anderen in einer Gruppe die Welt ganz anders. Da ist es nicht einfach, Widerstand zu leisten. Aber die eigenen Sinne oder das eigene Urteil sagen etwas anderes. Trotzdem bleibt es schwierig. Denken Sie an die scheinbar wirklichkeitsgarantierende Übereinstimmung mit den Wahrnehmun- gen anderer Menschen. Hinzu kommen angemessenes Rollenverhalten in einer Gruppe und ein gewisser Anpassungsdruck, der schon aus der Erziehung herrühren kann. Tatsächlich verhalten sich viele Menschen im Alltag auch heute noch ähnlich wie die Versuchspersonen in Aschs Experiment. Wie oft kommt es vor, dass jemand in Gesprächen eigene Standpunkte oder Vorlieben verschweigt, um nicht unangenehm GrundlaGen 1 AusFüHrunG Solomon E. Asch (1907–1996) úú Kapitel 3.1.4 Soziale Phänomene Soziale Phänomene 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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