Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
402 Die neue Grenzziehung in Gestalt der Kriterien zur Todeszeitpunktbestimmung […] lebt von der Zerlegung eines Begriffs („Leben“) in verschiedene Teilfunktio- nen; sie spitzt den Begriff auf eine dieser Teilfunktionen zu (Gehirntätigkeit), die in Funktionsparametern zu erfassen ist (Hirnstromkurve, Hirndurchblutung); sie definiert kritische Werte für die Funktionsparameter; und sie qualifiziert diese Werte als Kriterium für eine Entscheidung in einem Handlungsvollzug. Sebastian M. Schellong: Die künstliche Beatmung und die Entstehung des Hirntodkonzepts, in: Thomas Schlich/Claudia Wiesemann (Hg.): Hirntod. Zur Kulturgeschichte der Todesfeststellung (2001), S. 206. Der Medizinhistoriker Sebastian M. Schellong setzt sich hier mit der Entscheidung, den Todeszeitpunkt mit dem Ende der Gehirnaktivitäten festzulegen, auseinander. Diese ergibt sich nicht aus der Sache selbst, sondern aus Möglichkeiten der Intensiv- und Transplantationsmedizin, die vor den 1950er-Jahren nicht vorhanden waren. Denn der neuen Entwicklung, Organe erfolgreich transplantieren zu können, entsprachen neue intensivmedizinische Möglichkeiten, relevante Vitalfunktionen auch über das Aussetzen der Gehirnfunktion aufrechterhalten zu können. In ethischer Hinsicht kann in diesem Zusammenhang die Frage der Abwägung von Interessen diskutiert werden. Bioethische Fragestellungen kreisen häufig um das Verhältnis zwischen Mensch und (restlicher) Natur ganz allgemein. Besondere Bekanntheit hat in diesem Zusammen- hang der bereits oben erwähnte Philosoph und Ethiker Peter Singer mit einer Reihe sehr kontrovers diskutierter Thesen erlangt. So setzte er sich kritisch mit dem angebli- chen Vorrang der Spezies Mensch gegenüber anderen Arten auseinander. Auch Tiere seien in ethische Reflexionen einzubeziehen. In diesem Sinn weitete er auch den Begriff Person im Sinne von Wesen, die sich ihrer selbst bewusst sind bzw. sein können, Empfindungen haben und autonom agieren und Interesse an etwas ent- wickeln können, auf einige Primaten aus. Umstritten ist dieser Ansatz insbesondere deshalb, weil Singer sowohl Menschen als auch Hominiden im Falle geistiger Behin- derung den Status einer Person wieder abspricht. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Die Entscheidung, den Todeseintritt über den sogenannten Hirntod zu bestimmen, bringt eine Interessenabwägung zum Ausdruck. Erklären Sie, um welche es sich dabei handeln könnte! Entwickeln Sie eine Hypothese, inwiefern Singers Begriff von Person Anlass zu Kontroversen gegeben haben könnte! 4.2 Ethische orientierung Mit einer gewandelten Vorstellung zu menschlicher Selbstbestimmung gehen auch rechtliche Möglichkeiten einher, die früher nicht gegeben waren. Zu denken ist hier etwa an Patientenverfügungen, in denen Menschen festlegen können, bestimmte Behandlungsmethoden von vornherein abzulehnen. Dabei geht es meist um lebenser- haltende Maßnahmen, die an Patientinnen/Patienten während eines komatösen AuSFüHrung VerTieFung úú Kapitel 10.1.3 úú Kapitel 9.5.1 2 3 t grundlagen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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