Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
398 Daran zeigt sich, dass es eine nicht zu schließende und dennoch normativ akzep table Kluft geben kann zwischen dem, was ein Täter, seinen Fähigkeiten und Unfä- higkeiten gemäß, persönlich verdient, und der Fairness einer Reaktion, die ihm sein Verhalten „übelnimmt“ und ihm dafür Belastungen zumutet. Die Fairness solcher sanktionierenden Belastungen kann zu bejahen sein, auch wenn der Täter diese im strikten Sinn persönlich nicht verdient hat. Reinhard Merkel: Willensfreiheit und rechtliche Schuld (2008), S. 37. Merkel versucht, das Konzept des Schuldstrafrechts mit jenem eines vollständig deterministischen Menschenbildes in Einklang zu bringen. Die Idee des Schuld- strafrechts besteht aber gerade darin, Menschen für Handlungen zur Verantwortung zu ziehen, die sie auch anders hätten setzen können. Auf diese Weise sollen auch andere von der Begehung gleicher oder ähnlicher Taten abgehalten werden. Ob das funktionieren kann, ist eine andere Frage, doch derlei Überlegungen bilden die Grundlage des Schuldstrafrechts. Es geht dabei sogar sehr stark um innere Beweg- gründe, denn die Haltung oder Einstellung, mit der Menschen eine mit Strafe bedrohte Handlung begehen, ist entscheidend für Art, Höhe und Ausmaß der Strafe. Mit einem deterministischen Menschenbild ist derlei nicht zu vereinbaren. Sofern jegliche Möglichkeit, zwischen Alternativen zu entscheiden, verneint wird, muss vernünftigerweise auch das Schuldstrafrecht verabschiedet werden. Bekanntlich wird auch der Begriff Verantwortung höchst unterschiedlich gebraucht. Eine alltagssprachlich sehr geläufige Variante ist die Aussage von Politikerinnen/ Politikern: „Ich übernehme für dieses und jenes die Verantwortung.“ Darauf folgt in aller Regel nichts weiter. Vielmehr wird zur Tagesordnung übergegangen. Auf diese Weise verliert der Begriff Verantwortung seine Bedeutung und damit zugleich auch jedes Gewicht. Das Konzept der Verantwortung macht, sofern es funktionieren soll, nicht nur bestimmte Voraussetzungen, es erfordert zugleich erkennbare Konse- quenzen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Beurteilen Sie die zitierte Textpassage! Was genau könnte Merkel in diesem Zusam menhang mit Fairness meinen? Begründen Sie Ihre Überlegungen! Bilden Sie Gruppen und diskutieren Sie die Frage, was genau für Sie Verantwortung bedeutet oder bedeuten kann! Begründen Sie Ihre Positionen! 3.4 Verantwortung und Gerechtigkeit Mit Merkels Bezugnahme auf Fairness sind wir noch einmal zum Thema Gerechtigkeit zurückgekehrt. Fairness ist schließlich nichts anderes als ein bestimmtes Konzept von Gerechtigkeit. Gerade in der angelsächsischen Rechtsphilosophie spielt der Gedanke der Fairness eine große Rolle. John Rawls etwa hat seine einflussreiche Theorie der Gerechtigkeit als Theorie der Fairness konzipiert. Er wirft darin die Frage auf, wie es möglich wäre, eine gerechte Gesellschaft zu etablieren, und greift dabei auf das AuSFüHrung Reinhard Merkel (geb. 1950) VerTieFung 2 t 3 r grundlagen O Literaturempfehlung: John Rawls: A Theory of Justice (1971). Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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