Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
378 1.2 Ethik Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe Ethik und Moral oft gleichge- setzt. Strenggenommen bezeichnen sie aber sehr unterschiedliche Ansätze. In Hinblick auf Überlegungen griechischer Autoren zum Thema Ethik kann diese als Lehre vom geglückten Leben gelten. Aristoteles etwa vertrat in seiner „Nikomachi- schen Ethik“ die Ansicht, dass „Vorzüge des Charakters“ der „Gewöhnung“, eben dem éthos , geschuldet seien und nicht der „Natur“. Deshalb unternahm Aristoteles den Versuch, eine „Tugendlehre“ als Hinführung zum „guten“, „glücklichen Leben“ zu entwickeln. Ob etwas gut oder schlecht (nicht: böse ) ist, wird dabei nach dem Verhältnis von investierter Mühe und Ertrag beurteilt. Gut ist Aristoteles zufolge beispielsweise ein Musiker, wenn er vorzüglich musiziert. Ob jemand als Mensch gut ist, bestimmt sich ihm zufolge danach, ob er den Zustand der eudaimonía erreicht, der Glückseligkeit oder des Wohlergehens . Anzustreben sei die Mitte (gr. mesótes ) zwischen den Extrempositionen Übermaß und Mangel. Auf diese Weise werde auch das „beste Gut“ erlangt, nämlich Wohlergehen . Erlangt wird Aristoteles zufolge all dies durch Übung . Deshalb listet er auch keine Normen auf, sondern beschreibt Eigenschaften, die einem ethisch handelnden Menschen im Idealfall zukommen. Ein solcher Mensch verfüge über „Seelengröße“ oder „Hochsinn“ (gr. megalopsychía ). Die Figur des Hochsinnigen fungiert als Idealbild und dient der Orientierung anderer. Sie ist nicht starr und schematisch konstruiert, sondern erweist sich als hinreichend flexibel, um unterschiedlichen Situationen gerecht werden zu können. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Stellen Sie die zentralen Aspekte und Begriffe der Aristotelischen Ethik mit eigenen Worten dar! Bei der Angst z. B. und beim Mut, beim Begehren, beim Zorn, beim Mitleid und überhaupt bei den Erlebnissen von Lust und Unlust gibt es ein Zuviel und ein Zuwenig und keines von beiden ist richtig. Dagegen diese Regungen zur rechten Zeit zu empfinden und den rechten Situationen und Menschen gegenüber sowie aus dem richtigen Beweggrund und in der richtigen Weise – das ist jenes Mittlere, das ist das Beste, das ist die Leistung der sittlichen Tüchtigkeit. Aristoteles: Nikomachische Ethik, Buch II, 1106b 44. Es geht also bei Aristoteles um Abwägungen, Sensibilität und eine Einübung in das richtige Maß. Dafür gibt es naturgemäß keine allgemeinen Regeln, die einem Hand- buch entnommen werden könnten. Vielmehr erfordern sie einen grundsätzlichen Entwurf für die konkrete Form der angestrebten Seelengröße und in weiterer Folge ein stetes Abwägen, Erkunden und Einüben in die erstrebte Haltung. Ethik erweist sich in diesem Sinn als eine Lebenskunst und nicht als eine Sammlung von Regeln und Normen. grundlagen Ethik von gr. éthos , „Gewohn heit, Gewöhnung, Sitte, Brauch“ 1 AuSFüHrung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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