Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

339 gische Ansichten zu vertreten oder zu untermauern. So heißt es manchmal, diese oder jene politische Ideologie habe ja gar nicht funktionieren können, weil sie von einem falschen Menschenbild ausgegangen sei. Dann ist gemeint, dass bestimmte Verhaltensweisen konstitutiv zum Mensch-Sein gehören; welche das sind, variiert je nachdem, wo der/die Sprecher/in jeweils steht. Bleiben wir aber zunächst beim buchstäblichen Sinn des Wortes Menschenbild : Es gibt bestimmte Bilder, die Men- schen assoziativ abrufen können, wenn sie das Wort Mensch hören. Damit wird zum einen deutlich, wie stark menschliches Denken in zentralen Punkten auf bildliche Ausdrucksformen Bezug nimmt. Zum anderen hängen die Bilder, um die es hier geht, sehr von den kulturellen Rahmenbedingungen ab, unter denen Menschen sozialisiert worden sind. In den meisten europäischen Kulturkreisen ist das Bild vom Menschen auffallend männlich besetzt. Dies zeigt sich nicht nur an Leonardos vitruvianischem Menschen, sondern auch im Symbol der Arecibo-Botschaft, die von der NASA 1974 ins Weltall gesendet wurde. In manchen Sprachen, etwa im Englischen, gibt es Wörter, die gleichermaßen Mensch wie Mann bedeuten (man) . Damit ist eine kulturell bedingte Schieflage angesprochen, die aber grundlegende Vorstellungen dessen betrifft, was viele Menschen abrufen, wenn sie spontan an ihr Mensch-Sein denken. Frauen erscheinen in diesen Sichtwei- sen als das Andere des Mannes . Kaum eine andere Vorstellung über das Mensch-Sein hat ein derart hohes Maß an Plastizität erlangt und gerade die im europäischen Denken jahrhundertelang vorherrschenden Auffassungen von den Grundlagen des Mensch-Seins bestimmt. Trotz vielversprechender Gegenbewegungen erscheinen sie immer noch sehr wirkungsmächtig, was ihre starke Verankerung in sozialen und kulturellen Normen verdeutlicht. Andere Bilder des Menschen werden sehr viel stärker in ihrer kulturellen Veränderlichkeit erkennbar: Der Mensch des Mittelalters erscheint flach und buchstäblich zu einem göttlichen Wesen hingeneigt, der Mensch der Renaissance vermag seinesgleichen perspektivisch darzustellen, weshalb er sehr viel dynamischer und kraftvoller erscheint, während der Mensch des 20. Jahrhunderts etwa in der Masse seiner Mitmenschen aufzugehen scheint, die beispielsweise aus U-Bahn-Schächten hervor- oder zu politischen Kundgaben hinströmt. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Notieren Sie Ihre Assoziationen zum Thema Bild vom Menschen und sprechen Sie mit Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznachbarn darüber! Im Bild tritt die Realität mehr aus sich heraus, wird bestimmter, entschiedener, prägnanter und in diesem Sinne auch wirklicher. Sie wird erst im Bild eigentlich etwas Bestimmtes aus der Fülle der mannigfaltigen Möglichkeiten, in denen sie sich zeigen kann und die zunächst unbestimmt und diffus bleiben; sie wird erst im Bild eigentlich wirklich. In diesem Sinne kann man sagen, dass in der Tat eine Wirklichkeit der Realität den Bildern geschuldet ist […]. Realität soll die dingliche Welt einschließlich der Menschen bezeichnen. Ich vermeide hier den auch gebräuchlichen Ausdruck „Wirklichkeit“, weil ich diesen für die affektiv erfahrene Wirksamkeit reserviere. Gernot Böhme: Theorie des Bildes (1999), S. 92 f. 1 AuSfüHrunG Diese codierte Botschaft wurde am 16. November 1974 vom AreciboObser­ vatorium in Puerto Rico in Form eines Radiowellen­ signals ausgesendet. Mensch-Sein 2 Mensch-Sein 2 9 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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