Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
329 herkömmliche Denk- und auch Betrachtungsgewohnheiten in Zweifel zu ziehen und auch bei dem/der Betrachter/in Nachdenkprozesse auszulösen. Ein berühmtes Beispiel ist René Magrittes Gemälde „La trahison des images“ („Der Verrat der Bilder“), das eine Pfeife zeigt, unter der ein Satz zu lesen ist: „Ceci n'est pas une pipe“ („Dies ist keine Pfeife“). Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Was genau ist ein Pissoir, das in einer Museumsvitrine liegt? Bilden Sie Gruppen und diskutieren Sie Ihre Vorstellungen davon, was ein Kunstwerk ausmacht! Magrittes Bild ist […] ein Kunstwerk. […] Wenn es als Kunstwerk anzusehen ist, so deshalb, weil es einen Schritt darstellt in einem Prozess, durch den sich die moderne Kunst selbst reflektiert. Was problematisiert wird, ist das Verhältnis von Kunst und Nicht-Kunst, die Darstellungsweisen, die Beziehung von Text und Bild und der Gebrauch von Bildern. Magritte, in der Werbebranche zu Hause, kannte sich mit dem Gebrauch der Bilder aus und der wachsenden Bilderflut im ent- wickelten Kapitalismus. Was davon in seinem Bild erscheint, ist die Tatsache, dass die Bilder durch die unbeschränkte Reproduktion und die Notwendigkeit der unbeschränkten und schnellen Erkennbarkeit zum Schema degenerieren […]. Gernot Böhme: Theorie des Bildes (1999), S. 74. Der Philosoph Gernot Böhme resümiert an dieser Stelle seine Interpretation von Magrittes „La trahison des images“. Er verweist dabei auf den selbstreflexiven Zug moderner Kunst wie auch auf deren Bezugnahmen auf Gegenstände des Gebrauchs – oder eben der kommerziellen Werbung, die sich spezifischer grafischer Elemente bediente. Die Bedeutung der technischen Reproduzierbarkeit von Kunstwerken hat der Philo- soph Walter Benjamin Mitte der 1930er-Jahre hervorgehoben. Benjamin dachte dabei wohl vor allem an Werke der bildenden Kunst. Diese waren traditionell durch das Konzept der Originalität oder Echtheit und damit zugleich ihrer Einzigartigkeit gekennzeichnet. Dieser Umstand verlieh ihnen Charakter, der sie für Benjamin mit einer Bedeutung auflud, die derjenigen religiöser Kultobjekte gleichkam. Benjamin spricht denn auch von der Aura dieser originären und einzigartigen Objekte, die sich jeweils nur an einem bestimmten Ort befinden könnten. Durch diese Aura entsteht zwischen Objekt und Betrachter/in eine unüberbrückbare Distanz („eine Ferne, so nah sie auch sein mag“). Mittels technischer Reproduktionsmöglichkeit von Bildern würden Kunstwerke diese Aura verlieren und mithin ihren gleichsam religiösen Charakter. Auch dieser Ansatz verweist gleich in mehrfacher Hinsicht auf die Säkulari- sierungsdiskussion, die wir im vorigen Unterkapitel angesprochen haben. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Was geschieht, wenn Magritte eine Pfeife malt und darunter schreibt, dies sei keine Pfeife? Erklären sie die künstlerische Strategie anhand des Textes von Böhme! 1 t AuSFüHrunG VerTieFunG Walter Benjamin (1892–1940) O Literaturempfehlung: Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936; 1997), S. 480. 2 Mensch-Sein 1 Mensch-Sein 1 8 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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