Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

323 4 Kunst Kunst ist schöpferisch und frei, sagt man. Sie kann uns von der Banalität des Alltäglichen wegfüh- ren und unerwartete Perspektiven erschließen. Im Blick auf künstlerische Hervorbringungen scheinen wir Zeit und Raum überwinden zu können – und so eine Ahnung davon bekommen, dass sich viele Begrenzungen der menschlichen Existenz überwinden lassen. 4.1 Schöpfung oder Mimesis? Dass Kunst mit schöpferischer Tätigkeit zu tun hat, ist seit dem 18. Jahrhundert eine geläufige Vorstellung und findet ihren deutlichsten Ausdruck in der Figur des genialen Künstlers . Diese Annahme weitreichender künstlerischer Autonomie steht im Gegen- satz zum älteren Konzept einer Nachahmung oder Nachbildung der Natu r (gr. míme- sis ) durch die Kunstschaffenden. Sie ist nicht zuletzt auch mit der Vorstellung mög- lichst weitreichender Machbarkeit verbunden (nicht nur auf künstlerischem Gebiet). Dennoch kommt auch die alte, schon von Platons Sokrates kritisierte Auffassung von Kunst als Mimesis auch heute immer wieder einmal zur Geltung. Die Idee, der Welt (was immer man darunter begreift) einen Spiegel vorzuhalten, mag als kunsttheoreti- sches Programm letztlich merkwürdig erscheinen, muss sie sich doch jedenfalls den Vorwurf gefallen lassen, sie wolle nichts anderes zur Darstellung bringen als das, was ohnedies wahrgenommen werden könne. Umgekehrt verbleibt jeder noch so kreative Akt immer irgendwie an die Welt gebunden, die dem/der Künstler/in bekannt und vertraut ist. Denn gänzlich außerhalb des eigenen Erfahrungshorizonts treten können wir mit unserer Phantasie letztlich nie. Auch wenn wir, wie beispielsweise Joanne K. Rowling, eine ganze Welt voller Hexen und Zauberer erfinden, die detailreich ausge- staltet und in sich selbst schlüssig ist, so bleiben doch erkennbare Anklänge an die uns vertraute Welt erhalten. Aristoteles definierte Kunst über Nachahmung und Vollendung von Natur . Als Gegen- stände der Nachahmung nennt Aristoteles handelnde Menschen , wobei weniger auf empirisch Erfahrbares, sondern auf Allgemeines oder Idealtypisches Bezug genom- men wird. So teile etwa der Dichter das mit, was geschehen könnte und nicht etwas, das wirklich geschehen ist. Dies entspricht auch Aristoteles’ Auffassung von Wirklich- keit. Wirklich ist für Aristoteles, was möglich ist, also die Entfaltung vorhandener Möglichkeiten, kein Zustand, der zu einem bestimmten Zeitpunkt erkennbar wird. Insofern müsse das Beispielhafte der Kunst die Wirklichkeit übertreffen . Kunst scheint also in einer Wechselbeziehung von kreativer Aktivität und Auseinan- dersetzung mit der Welt zu stehen, wie sie von dem/der Künstler/in erlebt und erfahren wird. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Geben Sie mit Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznachbarn eine Definition des Begriffs Kunst ! GrundlaGen O  Literaturempfehlung: Aristoteles: Poetik 1451b; 1461b 11 ff. 1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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