Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]

257 politischen Verhältnisse, die virtuellen Welten des Internet und anderer Medien, Kunst, die Art, wie wir uns kleiden und ernähren, und vieles andere mehr. Das war vielleicht nicht zu allen Zeiten so. Aber seit einigen Jahrhunderten greifen wir selbst in die Natur nachhaltig und gestalterisch ein, auch wenn wir oft genug die Folgen nicht abschätzen können und sie uns Angst machen. Der viel diskutierte Klimawandel ist ein gutes Beispiel dafür. Sollte er tatsächlich stattfinden und durch menschliche Schadstoffemissionen verursacht sein, so zeigt er, wie massiv Menschen ihre Wirklichkeit auch auf physikalischer und thermodynami- scher Ebene gestalten. Gleichzeitig erschaffen wir selbst die im höchsten Maße menschlich beeinflussten und als wirklich erlebten Bereiche nicht. Wir gestalten sie mehr oder minder intensiv. Insofern ist das, was wir als Wirklichkeit betrachten und erfahren, stets eine hochkomplexe und vielschichtige Angelegenheit. Sie ist im Grunde nicht leicht durch Definitionen zu umgrenzen und schon gar nicht mit einfachen Mitteln ohne gedankliche Anstrengung zu erfassen. Bei alledem darf allerdings nie übersehen werden, dass eine Reflexion, die letztlich keinen Bezug zu sinnlich erfahrbaren und belegbaren Dingen mehr hat, rein spekula- tiv bleibt. Auf solche Weise konnten beispielsweise Hexen als Tatsachen und nicht als mythische oder literarische Figuren betrachtet werden – mit verheerenden Folgen für die Betroffenen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Sammeln Sie in Ihrem Umfeld Beispiele von spekulativen Vorstellungen, die für wirklich gehalten werden! Bilden Sie Gruppen und diskutieren Sie darüber, ob Sie sich vorstellen können, dass wir in mehr als einer Wirklichkeit leben! Begründen Sie Ihre Argumente! Der Berg ist von allen der höchste […]. Auf seinem Gipfel ist ein kleines Plateau. Dort ruhten wir uns erschöpft aus. […] Zuerst stand ich da, durch den ungewohn- ten Hauch der Luft und die ganz freie Rundsicht bewegt, einem Betäubten gleich. Ich schaute zurück nach unten: Wolken lagen zu meinen Füßen, und schon wur- den mir der Athos und der Olymp weniger sagenhaft […]. Ich gestehe, dass ich nach italienischer Luft lechzte, die sich mehr dem Geist als den Augen darbot […]. Ein neuer Gedanke ergriff Besitz von mir und führte mich von der Betrachtung des Raumes zu jener der Zeit. Denn ich sagte zu mir: „Heute erfüllt sich das zehnte Jahr, seit du Bologna nach Abschluss deiner jugendlichen Studien verlassen hast […].“ Francesco Petrarca: Die Besteigung des Mont Ventoux, 16 ff. Petrarca stellt in einem Brief eine Besteigung des Mont Ventoux in der Provence dar. Sein Schwenk von der Naturbetrachtung zu einer Innenschau und dann wieder zurück zur Natur wird von vielen Interpretinnen/Interpreten als wichtiges literarisches Beispiel für einen Wandel in der Weltwahrnehmung gewertet. Natur wird zur Land- schaft , also zu etwas von Menschen Geformtem. Die Betrachtung der natürlichen Welt 1 2 t AuSFüHrunG Francesco Petrarca (1304–1374) Wirklichkeit und ihre Erkenntnis Wirklichkeit und ihre Erkenntnis 7 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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