Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
255 ganz ausgeschaltet werden. Damit war schon einmal eine Entscheidung getroffen, was überhaupt als wirklich gelten könnte, nämlich die sinnlich erfahrbare Welt , nicht hingegen die Welt hinter oder neben dieser, auf die Metaphysiker/innen oder die Vertreter/innen religiöser Lehren verweisen. Diese Entscheidung ist aber weder zwingend noch unbestreitbar, sie setzt einfach einen Schnitt und erklärt das prinzi- piell Messbare zum (einzig) Wirklichen. Das wiederum bedeutet eine erhebliche Einschränkung, denn es schneidet von vornherein viele Aspekte ab, die wir intuitiv als Bestandteil unserer Wirklichkeit betrachten (etwa Gedanken oder Gefühle). Hinzu kommt, dass jedes Messinstrument und jedes Messverfahren auf Modellen, Berech- nungen und Hypothesen gründet, also auf Annahmen, die vielleicht von empirischen Daten beeinflusst sind, aber nicht selbst unmittelbar auf Erfahrungen gründen. Also müssen sich auch die konsequentesten Empiriker/innen überlegen, warum sie ein bestimmtes Verfahren oder Instrumentarium anwenden oder nicht. Sie müssen eine Theorie haben, bevor sie empirisch zu arbeiten beginnen, und diese Theorie kann selbst nicht allein auf empirischer Basis gewonnen werden. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Überlegen Sie, was Wirklichkeit für Sie bedeutet! Notieren Sie ganz assoziativ Stich worte und besprechen Sie Ihre Ergebnisse mit Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznach barn! „Die Welt ist meine Vorstellung“ – dies ist die Wahrheit, welche in Beziehung auf jedes lebende und erkennende Wesen gilt; wiewohl der Mensch allein sie in das reflektirte und abstrakte Bewußtsein bringen kann; und thut er dies wirklich; so ist die philosophische Besonnenheit bei ihm eingetreten. Es wird ihm dann deutlich bewußt und gewiß, daß er keine Sonne kennt und keine Erde; sondern immer nur ein Auge, das eine Sonne sieht, eine Hand, die eine Erde fühlt; daß die Welt, welche ihn umgiebt, nur als Vorstellung da ist, d. h. durchweg nur in Beziehung auf ein Anderes, das Vorstellende, welches er selbst ist. Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung I, Erstes Buch, § 1. In Schopenhauers Sicht ist die Welt insofern unsere Vorstellung, als eine nicht-wahr- genommene Wirklichkeit für uns keine Relevanz haben kann. Die Welt oder die Wirklichkeit ist für uns das (und nur das), was sich uns durch irgendeine Form von Wahrnehmung erschließt. Diese Wahrnehmung umfasst auch unsere eigenen Denk- und Gefühlsinhalte, sodass wir uns auch Klarheit darüber verschaffen können, was uns beispielsweise antreibt. Für Schopenhauer war dies ein blinder, in der Natur wirkender Wille, ähnlich den Trieben, die später für Sigmund Freud von so großer Bedeutung waren. Bei näherer Betrachtung wird leicht erkennbar, dass jede empirische Beobachtung nur dann zu weiterführenden, beispielsweise wissenschaftlichen Aussagen verwendet werden kann, wenn man vorab eine bestimmte Fragestellung oder ein Konzept verfolgt. Abgesehen von den Schwierigkeiten, empirische Daten angemessen zur Empirismus Sammelbezeichnung für philosophische und wissenschaftliche Richtungen, die Erkenntnis allein auf Basis von Sinneseindrücken gewinnen wollen úú Kapitel 2 1 r AuSFüHrunG Arthur Schopenhauer (1788–1860) úú Kapitel 4.1 VErTiEFunG Wirklichkeit und ihre Erkenntnis Wirklichkeit und ihre Erkenntnis 7 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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