Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
254 Schmetterling. Erwachend fragte er sich, ob er ein Schmetterling sei, der träume, er sei ein Mensch, oder ein Mensch, der geträumt habe, ein Schmetterling zu sein. Für Zhuangzhou erweist sich in dieser Ambivalenz der Wandel der Dinge . Auf eine Wirklichkeitsebene legt er sich nicht fest. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Lesen Sie die zitierte Textpassage und fassen Sie die Ausführungen Descartes‘ mit eigenen Worten zusammen! Finden Sie Kriterien für die Unterscheidung von Schlafund Wachzustand! Diskutieren Sie mir Ihrer/Ihrem Sitznachbarin/Sitznachbarn darüber! 1.2 Wirklichkeit an sich oder erkannte Wirklichkeit? Gäbe es eine Wirklichkeit an sich , die wir aber nicht erkennen könnten, so hätte sie auf unser Leben, Empfinden und Denken keinen Einfluss, über den sich sprechen oder nachdenken ließe, mithin keinen Einfluss, aus dem sich irgendwelche Schlüsse ziehen ließen. Eine solche Wirklichkeit, mag sie nun existieren oder nicht, verbliebe für uns immer transzendent , also außerhalb der Möglichkeit jeglicher sinnlicher Erfahrung gelegen. Wir könnten mit ihr, jedenfalls aus philosophischer und wissenschaftlicher Perspektive, nichts anfangen. Nur eine irgendwie erkenn- und auch erfahrbare Wirklichkeit kann uns philosophisch oder wissenschaftlich interessieren, nur sie versuchen wir zu ergründen. Damit binden wir diese Wirklichkeit(en) aber von vornherein an unseren Wahrnehmungsapparat und die Deutungsmöglichkeiten, über die wir als Menschen verfügen. Eine Wirklichkeit jenseits all dessen wäre für uns in der Tat nicht erkennbar und würde uns, bräche sie in unser Leben ein, massiv überfor- dern. Wir wüssten nämlich nicht, wie wir sie uns erklären sollen, und zwar ganz elementar: Uns würden Bilder und Konzepte fehlen, uns diese Wirklichkeit zu erklären. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, in Ihrem Zimmer würden plötzlich seltsame Wolken aus Licht erscheinen, die in undefinierbaren Farben und Formen schimmern, aber auch wieder nicht schimmern, sondern irgendwie … Sie hätten ein Problem. Psychia- ter/innen könnten unter Umständen einen Wahn diagnostizieren, aber nur, wenn Sie allein die seltsamen Erscheinungen wahrnähmen. Sonst hätten auch die Psychiater/ innen ein Problem. Für uns Menschen sind also nur jene Aspekte möglicher Wirklichkeiten relevant, die wir in irgendeiner Weise zu fassen und zu deuten in der Lage sind. Hinzu kommt, dass unsere Sinne uns täuschen (können), wie schon Descartes festgestellt hat. Aber auch wenn dem nicht so ist, sehen wir, das konnten wir schon am Beispiel von Poes „The purloined letter“ feststellen, zunächst einmal das, was wir zu sehen erwarten. Je enger und begrenzter unser Erwartungshorizont ist, desto weniger nehmen wir wahr. Um diesem Problem zu entgehen, entwickelte die moderne Naturwissenschaft seit dem 16. Jahrhundert Methoden, die Welt zu messen und messbar zu machen. Als wirklich sollte gelten, was gemessen werden kann. Fehler, die aufgrund einseitiger Wahrnehmung entstehen, sollten durch gute und immer bessere Messinstrumente und Messverfahren verringert und letzten Endes 2 3 GrundlaGEn transzendent von lat. transcendere , „hinüberschreiten“; die Grenzen der Erfahrung und der sinnlich erkennbaren Welt überschreitend úú Kapitel 6.2 úú Kapitel 1.1.1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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