Psychologie und Philosophie, Schulbuch [Philosophie Teil]
220 Wir haben viel von selbstständigem Denken gesprochen. In den Kapiteln zur Psycholo- gie haben wir aber auch gesehen, dass es mit dem Denken vor allem aus neurowis- senschaftlicher Sicht eine prekäre und zumindest heiß diskutierte Sache sein kann. Ohne an dieser Stelle schon aus philosophischer Perspektive auf diese Fragen eingehen zu können, seien hier fürs Erste nur ein paar Überlegungen skizziert: Man könnte beispielsweise sagen, dass sich Menschen auf ihre eigenen Möglichkeiten stützen können. Nicht ein äußerer Bezugspunkt, etwa eine Autorität, garantiert die Geltung eines Gedankens, sondern dieser ist geeignet, sich selbst zu tragen. Dies anzunehmen kann als eine legitime Hypothese gelten, wenn überhaupt von Denken die Rede sein soll. Immerhin setzen Aussagen der Art, Denken sei durch dieses oder jenes bestimmt, ihrerseits wieder bestimmte Denkakte voraus. Das hieße dann aber, dass als ein letzter Bezugspunkt intellektueller Bemühungen (im weitesten Sinn) immer Gedanken dienen müssen, weil ein „Jenseits derselben“ nicht gedacht werden kann. Die Idee des Selbstdenkens verweist aber zugleich darauf, dass das denkende Selbst ein solches ist, das im Modus des Denkens seinerseits nähere Ausgestaltungen erfährt. Denkakte, die diese Bezeichnung verdienen, bleiben nicht folgenlos. Sie verändern die Denkenden und erlauben es ihnen gleichzeitig auch, ein Konzept von sich selber zu entwickeln, an dessen Umsetzung sie dann in weiterer Folge arbeiten können. Eine der prominentesten und einflussreichsten Vertreterinnen zeitgenössischer feministischer Theorie und Philosophie ist die Philosophin und Literaturwissenschafte- rin Judith Butler. Wir werden uns mit ihren Überlegungen noch eingehender beschäfti- gen. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass ihr zufolge jede Vorstellung von Geschlecht, gleich ob soziokulturell (gender) oder biologisch (sex) ein Konstrukt ist, dem immer auch bestimmte Machtansprüche zugrunde liegen. Damit wird besonders deutlich, was im Grunde für jede feministische Theoriebildung gilt: Feministische Theorie und Philosophie zielen nicht allein auf die Interessen einer (wenn auch großen) Gruppe von Menschen, sondern rücken immer anthropologische Gesamtbe- trachtungen in den Blick, die alle Menschen angehen. Anregungen zum selbstständigen Weiterarbeiten Definieren Sie den Begriff Autorität und nehmen Sie dann Stellung zu der Frage, ob Autorität und Selbstdenken einen Widerspruch darstellen! Diskutieren Sie gemeinsam darüber, ob wir überhaupt selbstständig denken können; denken Sie dabei an die Diskussion des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft, die Sie in Kapitel 3 kennengelernt haben! Diskutieren Sie gemeinsam die Begriffsbestimmung von Autorität unter dem Aspekt der Macht! ausFüHrunG autorität von lat. auctoritas , „Gewicht, Ansehen, Einfluss“; Fähigkeit, einer Handlung rechtliche Gültigkeit zu verleihen; Einfluss einer Person oder Institution, der auf Traditionen oder bestimmten Befähigun gen gründen kann O Literaturempfehlung: Annemarie Pieper: Selber denken. Anstiftung zum Philosophieren (1997). VerTieFunG úú Kapitel 9.2.3 3 4 t 5 t Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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