Treffpunkt Deutsch 2, Sommertraining

6 Bei einer Burgbesichtigung darfst du in die geheimen Kammern des Burgherrn und dabei entdeckst du in einem riesigen Buch eine ganz besondere Sage. Du liest die Sage, doch seltsam – fehlt da nicht etwas? 1 Das Burgfräulein – Geschichten aus vergangener Zeit Umgang mit Texten Auf der Ruggburg lebte vor Zeiten ein Fräu- lein, das schönste in der Gegend. Viele Ritter wollten es zur Frau, aber das Fräulein war viel zu ernst und wollte nicht heiraten. An einem Abend ging das Fräulein spazieren und traf eine Bettlerin, die am Weg saß und strickte. Die Bettlerin klagte dem Fräulein ihre Not und weinte und erzählte, was sie schon mit- gemacht habe im traurigen Leben: „Du würdest es nicht glauben, was ich gelitten habe, und du weißt nicht, was Kummer und Sorge ist“. Das Fräulein antwortete: „Ei, sag mir, was Kummer und Sorge ist“, und gab dem Weiblein ein wenig Geld. Das Bettlerweible aber gab dem Fräulein den Knäuel Garn und sagte: „Trage den Knäuel in den Tannenwald hinauf, bis du die Seel vom Knäuel findest, dann erfährst du bestimmt, was Kummer und Sorge ist.“ Das Fräulein nahm den Knäuel und ging munter in den Tannenwald hinauf und wand vor sich den Knäuel ab. Als es dunkel wurde, ging der Knäuel aus, und dem Fräulein blieb eine Baumnuss, auf die der Knäuel aufgewickelt war, in der Hand. Die Baumnuss war die Seel vom Knäuel, und das Fräulein sah jetzt, was Kummer und Sorge waren: Das Fräulein stand in einem schwarzen Tannen- wald, mutterseelenallein, wusste keinen Weg, keinen Steg zum Schloss zurück, hatte Hunger und Durst, hatte nichts zu essen und nichts zu trinken, wollte schlafen und hatte kein Bett, wollte sich wärmen und hatte keine Stube. Da fing es an zu weinen und versprach, wenn es wieder zu Leuten komme, gehe es ins Kloster. Darauf ging es immer weiter durch Tannen und Föhren und betete vor sich hin, und die kalte Nachtluft verzauste die Locken des Fräuleins. Mit einem Mal sah es ein Lichtlein durch die Tannen flimmern und schrie auf vor Freude und ging aufs Lichtlein zu und kam zu einer Hütte und klopfte an. Ein altes, buckliges Weiblein tat auf. „Kann ich über Nacht hier- bleiben?“, fragte das Fräulein. „So sei es“, sagte das Mütterlein und führte das Fräulein in die Stube, „aber“, sagte es, „ich fürchte, der Jäger kommt; das ist ein wilder, ungehobelter Kerle, der niemanden mag, nur mir tut er nichts, ich sei schon geschlagen genug, sagt er, mit meinem Buckel. Tageweise geht er fort und passt auf das Hochwild auf, und hoffentlich kommt er einmal nicht mehr zurück.“ Auf einmal hörte man es bellen und der Jäger war vor der Hütte und fluchte. Das Fräulein, kreidebleich vor Schrecken, sprang auf und wollte fliehen, aber unter der Tür begegnete es dem Jäger, und der zog seinen Säbel und haute ihm das flatterige Haar ab. Das Fräulein war froh, dass ihm der Kopf noch geblieben war und lief im Wald weiter. Von da an war dem Jäger nicht mehr wohl. Das Bild von dem Fräulein war ihm immer wieder in den Sinn gekommen. Er machte Kränzlein und Blumen aus des Fräuleins Haar und schaute sie an und weinte. „Weible“, sagt er auf einmal zu seiner Wirtschafterin, „ich gehe und such mir das Fräulein, ohne den Engel kann ich’s nicht mehr aushalten.“ Und der Jäger zog fort und ging mitten im Winter planlos von Schloss zu Schloss, … 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 Die Sage kann noch nicht vollständig sein! Wie könnte sie enden? Erfinde einen eigenen Schluss und schreibe diesen auf ein Blatt Papier. Danach kannst du dein Ende mit dem Ende der originalen Sage vergleichen und dir ein Bild vom Fräulein anschauen. Wie mag das Fräulein von Ruggburg wohl ausgesehen haben? Kannst du sie malen? 2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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