sprachreif, Schreibkompetenztraining: Analytische und interpretatorische Textsorten

88 3. 3 — Textinterpretation Mehrzahl der Fettsäcke aber sitzt offenbar vor dem Fernseher und sieht sich Werbespots für Schoko­ riegel an, während sie Kartoffelchips mampft. Denn die Epidemie breitet sich aus. Es gab in den USA schon einmal eine Epidemie mit schrecklichen Folgen. Sie wütete sehr lange, bis jemand zu sagen wagte, dass die Krankheit, der Lungenkrebs, durchs Rauchen verursacht werde. Natürlich wurde er wegen Verleumdung belangt. Doch danach wurde die Tabakindustrie zu Ent­ schädigungen in Milliardenhöhe verurteilt. Auch bei der amerikanischen Variante der Fett­ sucht lässt sich ein Schuldiger ausmachen. Auch diesmal wird es sehr lange dauern. Aber ich nehme an, dass eines Tages auch die Nahrungsmittelin­ dustrie Entschädigungen wird zahlen müssen. Denn nicht die Fressorgien der Russen, nicht die Schlemmermahle der Franzosen und nicht die Spaghettiberge der Italiener bringen 300Kilo­ Menschen hervor. Der Täter ist − das sagt mir mein GefühlJunkfood made in USA: Diese ma­ genumdrehende Süße in allem und jedem, das bil­ lige Knabberund Knusperzeug, die Fertigsaucen, Hormone im Fleisch − alles was künstlich ist, in Labors präpariert, in Fabriken montiert, vom Fließband herab auf unkritische Konsumenten ge­ schüttet, in Familienpackungen zum Sonderpreis weltweit in speziell dafür gebauten Riesenmärkten verhökert. Eines Tages, wenn die Kosten für die Behandlung der Fettsucht den Staat stärker belasten als Raum­ fahrt oder Wahlkämpfe, wenn die Airlines die Sitze in ihren Maschinen verbreitern müssen und Klein­ wagen keine Käufer mehr finden, werden sich Un­ tersuchungskommissionen damit beschäftigen, ob der Dickmacher nur in tiefgefrorenen Pommes sitzt oder auch in Pizzas und in Softdrinks. Und es wird sich herausstellen, dass er überall sitzt. Und dann treten die ersten Anwälte auf, die sich selbst­ los in den Dienst ihrer fetten Klienten stellen und bei der Nahrungsmittelindustrie Schadensersatz einklagen. Die wird zahlen, wie auch die Tabakin­ dustrie gezahlt hat, da die Regierung inzwischen neue Märkte in den Entwicklungsländern erschlos­ sen hat und neue Riesenmärkte entstanden sind, damit die Afrikaner endlich einmal satt werden. Mit China werden schon entsprechende Handels­ gespräche geführt, wie man weiß. In früheren Pe­ rioden galt dort Fettleibigkeit schon einmal als Ausweis des Wohlstands. Deshalb wird es nicht schwer sein, den doppelten Cheeseburger und den Big Mac in China heimisch zu machen. Bis das Durchschnittsgewicht von anderthalb Milliarden Chinesen allerdings bei 300 Kilo liegt, muss noch viel Cola den Yangtse hinunter fließen, was die ent­ sprechenden Aktionäre kaum erwarten können. Warum wird das nicht verboten? Haben wir ein Gesundheitsministerium oder nicht? Damit sich die Bundesbürger nicht gegenseitig umbringen (oder Selbstmord verüben), haben wir ein strenges Waffengesetz. Dem Konsumenten ist es ziemlich unmöglich, einen Revolver zu kaufen. Aber Junk­ food wird ihm geradezu aufgedrängt. Nur weil noch niemand untersucht hat, woran mehr Leute sterben, an schlechten Kalorien oder an der Kugel? […] : Die Zeit 15/2000, 06. 04. 2000 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 Schritt für Schritt eine Textinterpretation verfassen 1. Text lesen Lesen Sie den Input-Text. Nachdem Sie sich im Rahmen einer Prüfungssituation dafür entschieden haben, die Aufgabe der Textinterpretation zu wählen, lesen Sie den Text mehrmals und genau. Markieren Sie Auffälligkeiten. Notieren Sie Einfälle und Erkenntnisse. Machen Sie stichwortartige Notizen. Legen Sie sich Rechenschaft über Unklarheiten (Begriffe, sprachliche Bilder, Bedeutung …) ab. Versuchen Sie Unklarheiten durch erneutes Lesen des Gesamttextes, durch intensives Lesen des entsprechenden Absatzes sowie durch Nachschlagen zu beseitigen. Überlegen Sie, ob nicht Erschließbares eventuell in der Intention des Textes liegt. Wollte der Autor bewusst etwas im Unklaren lassen oder geht es um literarische Leerstellen, die die Lesenden für sich interpretieren müssen? Wenn dies der Fall ist, formulieren Sie (später) diese Erkenntnis und arbeiten Sie sie in Ihre Textanalyse ein. 2. Vorwissen aktivieren Rufen Sie Ihr Fachwissen zu Textsorten, Ihre literarische Bildung, Ihr historisches und politisches Wissen, Ihr Wissen über Alltagssituationen, über Kommunikation usw. auf und verbinden Sie es mit den Textinhalten. 3. Aufgabenstellung erfassen: Textinterpretationen folgen in den meisten Fällen dem Schema Textwiedergabe – Textanalyse – Textdeutung . Prüfen Sie jedoch im konkreten Fall immer, ob dies auch zutrifft. Achten Sie in Zusammenhang damit auf die konkreten Operatoren : Der erste Operator betrifft meist die Textwiedergabe. Er wird berücksichtigen, ob der zu behandelnde Text eine Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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