sprachreif, Schreibkompetenztraining: Analytische und interpretatorische Textsorten

84 3. 3 — Textinterpretation Wer? Was? Mit welchen Mitteln? Mit/In welchem Medium? Mit welcher Absicht? Mit welchem möglichen Effekt? Wer? Die entscheidende Antwort kann hier nicht „Dr. Bernhard Hölzl“ lauten; das ist zwar der Name des Verfas- sers, viel wichtiger ist aber seine Rolle im Berufsleben, nämlich die des Deutschlehrers. In dieser Funktion fühlt er sich als Lehrer von der Bildungspolitik allgemein und als Deutsch-Lehrer im Besonderen (Stichwort: Literatur, Aufsätze korrigieren) betroffen. Was? Kritik an der aktuellen Bildungspolitik, an den Bildungsexperten und Politikern, an den Medien und dem neuen Lehrerdienstrecht. Mit welchen Mitteln? Sehr bildhafte Sprache, negativ besetzte Begriffe, anklagende Frage, umgangssprachliche bzw. dialektale Wendungen. Mit/In welchem Medium? Der Autor wählt das Medium eines Leserbriefs, den er an eine Zeitung gerichtet hat, die sich seiner Meinung nach von den anderen Medien unterscheidet, weil sie als einzige auf Bildung achtet. Mit welcher Absicht? Das ist der Kern der Interpretation. Hier hilft die Anwendung des Organonmodells von Karl Bühler. Bühler nennt drei grundsätzliche Funktionen der Sprache: die Darstellung (informieren), den Appell (argumentieren und appellieren) und den Ausdruck (seiner Stimmung, seinem Gefühl Ausdruck verleihen). Markieren Sie mit drei verschiedenen Farben die Passagen des Leserbriefs, in denen jeweils die Darstellung , der Appell oder der Ausdruck im Vordergrund steht. Eine Auswertung der Übung ergibt folgendes Bild: Darstellung : In dem Leserbrief (wie in den meisten Leserbriefen) gibt es wenige Informationspassagen: — Es gibt neue Gesetze, die die Lehrer jetzt umsetzen müssen, — Schulreform ist ein Dauerthema, und — das neue Lehrerdienstrecht bringt „mehr Anfangsgehalt bei flacherer Gehaltskurve“. Ü24 wenn es schwer ist, wenn man nicht so wie ich die Lehrverpflichtung freiwillig reduziert). In Zukunft werden den „Jungen“ dann noch ein paar Deutsch- klassen auf die derzeit bestehende Lehrverpflich- tung draufgepackt. Wer in der Gesellschaft sagt etwas dagegen, wenn man einer Berufsgruppe, die man für lange Ferien beneidet, die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich (für ein bisschen mehr Anfangsgehalt bei flacherer Ge- haltskurve) erhöht? Im Fall der zukünftigen Deutschlehrer (mir könnte es ja wurscht sein) heißt das: entweder Burn-out bzw. Berufswechsel nach wenigen Jahren oder (die wahrscheinlichere Alternative) ein massiver Quali- tätsverlust des Unterrichts. Denn das, was bisher geleistet wird, kann in Zukunft einfach nicht mehr geleistet werden. Dr. Bernhard Hölzl, BG und BRG Zwettl : Die Presse, 07. 10. 2014 52 54 56 42 44 46 48 50 Auch Sachtexte, also Leserbriefe, Reden, Zeitungsaufsätze und dergleichen mehr, können interpretiert werden. Dazu eignet sich die folgende Frage: Wer sagt was mit welchen Mitteln in welchem Medium mit welcher Absicht und mit welchem möglichen Effekt? Beantworten Sie diese Frage, indem Sie in der Tabelle stichwortartig Antworten für den oben stehenden Leserbrief eintragen. Ü23 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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