sprachreif, Schreibkompetenztraining: Analytische und interpretatorische Textsorten

81 3. 3 — Textinterpretation Schreibaufgabe (Hausübung oder Schularbeit) Verfassen Sie eine Textinterpretation. Situation: Im Rahmen der schriftlichen Diplom- und Reifeprüfung aus Deutsch weisen Sie Ihre literarische Kompetenz nach, indem Sie einen Dramenausschnitt interpretieren. Lesen Sie die beiden Szenen aus dem Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus. Verfassen Sie nun die Textinterpretation und bearbeiten Sie dabei folgende Arbeitsaufträge : — Geben Sie die in den beiden Szenen dargebotene Situation wieder. — Erschließen Sie die Charaktere sowie die Sprech- und Handlungsweise der Figuren. — Interpretieren Sie die möglichen Aussageabsichten der beiden Szenen. Schreiben Sie 540 bis 660 Wörter. Markieren Sie die Absätze durch Leerzeilen. AUFGABE Infobox Die letzten Tage der Menschheit: Die Tragödie entstand in der Zeit vom Sommer 1914 bis zum Juli 1917 und hat den Ersten Weltkrieg zum Thema. Das Drama enthält eine enorme Fülle an Schauplätzen und Figuren – Diplo- maten, Minister, Offiziere, Soldaten, Kriegsgewinnler, Adelige, den Kaiser, Journalisten, Kleinbürger usw. In über 200 Szenen soll das Gesicht des Krieges vorgeführt werden. Karl Kraus: Geboren 1874 in Jičín (Nordböhmen), gestorben 1936 in Wien. Studierte Philosophie und Germanistik in Wien, gründete 1899 die Zeitschrift „Die Fackel“. Er wirkte als Dramatiker, Lyriker, Vortragskünstler und als Kulturkritiker. Mit seinen Schriften protestierte er gegen den Krieg, gegen die obrigkeitshörige Justiz, gegen aufhetzenden Journalismus, gegen Frauenverachtung und v. a. gegen den schlampigen Umgang mit der Sprache. Kommentierung der Aufgabe Dimension Aufgabenerfüllung aus inhaltlicher Sicht — Geben Sie die in den beiden Szenen dargebotene Situation wieder: An der Karpatenfront werden kriegsmüde Soldaten vom Kompanieführer Hiller brutal bestraft. Der Füselier Helmhake wird an einen Baum gebunden und minus 30 Grad ausgesetzt und danach in ein Erdloch gesteckt. Nachdem bereits zwei Kameraden an ähnlichen Strafen gestorben sind, überlegen die beiden Wachen, gegen Hiller vorzugehen. Als Helmhake an den Qualen stirbt, vertuschen der Kompanieführer und der Militärarzt Müller die Todesursache. In einem Beileidsschreiben loben Sie den zu Tode Gebrachten und geben einen Dünndarmkatarrh als Todesursache an. — Erschließen Sie die Charaktere sowie die Sprech- und Handlungsweise der Figuren: Kompanieführer Hiller spricht vom Bestraften in derben Tierbezeichnungen („Schwein“, „Mistvieh“, „Dreck- sau“) und schließlich als verwesendes Tier („Aas“) und folgerichtig auch von „fressen“ und „saufen“. Er ist verroht und sadistisch, er freut sich über seine menschenverachtenden Scherze: Seinen Befehl, dem Misshandelten die Notdurft zu verbieten, fügt er „[L]achend“ die Bemerkung an: „Hat er denn freilich auch nicht nötich!“ Für die Qualen sorgt er mit kurzen Befehlen und mit sadistischen Fragen sowie Drohungen an die Wachen. Zu Beginn spricht er nicht mit dem Bestraften, sondern nur über ihn. Helmhake wird so zum Objekt. Erst gegen Ende richtet er sich an den bereits Toten mit typischen „Befehlsfragen“: „Willst du laufen, du Schwein!?“ (Siehe auch die Satzzeichen.) In der zweiten Szene verzeiht sich Hiller selbst, indem er dem Arzt und auch sich versichert, dass er alles für Helmhake getan hat. Er weist auch die Verantwortung von sich, indem er nicht fragt, was soll ich tun, sondern: „Was soll man tun?“ Hier empfindet er doch ein wenig Furcht vor Rechenschaft, anscheinend hat er aber kein schlechtes Gewissen. Die Todesnachricht an den Vater ist routiniert, bürokratisch nüchtern, formelhaft. Unterarzt Müller ist medizinischer Erfüllungsgehilfe, er hat aber zumindest Bedenken. Die beiden Wachsoldaten, insbesondere der zweite Soldat erträgt die Situation nicht mehr, hilft dem Verurteilten und überlegt die Beseitigung Hillers. Er ist vorsichtig gegenüber seinem Kameraden, was sich darin zeigt, dass er seine Absicht als Frage formuliert; er traut sich den Gedanken gar nicht auszusprechen, und er beruft sich auf Gott: „Meinst du nicht auch, daß wir gottgefälliger handelten, wenn wir statt seiner – ihn –?“ Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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