sprachreif, Schreibkompetenztraining: Analytische und interpretatorische Textsorten
74 3. 3 — Textinterpretation Interpretieren Sie nun das Gedicht, indem Sie das semantische Feld nützen. — Vergleichen Sie dazu die gleiche und doch unterschiedliche Situation in der ersten und in der letzten Strophe. — Überlegen Sie dabei, welche Bedeutung der kühle Grund (Mühlen liegen an einem Bach in einem tiefer liegenden Gelände (= Grund, wo es feucht und kühl ist) in Verbindung mit den letzten zwei Verszeilen (sterben, still) annehmen kann. — Untersuchen Sie auch die Beziehung der Wörter, die sich reimen, zueinander. 3. Schritt: Die formalen Auffälligkeiten für die Interpretation nutzen Die Sprache eines Gedichts wird für das Lesen und Sprechen in ganz eigene Formen gebracht: in Strophen, in Verszeilen, in Reime, in ein Metrum, in einen bestimmten Rhythmus und in bestimmte Klangbilder. Auch dies soll zur Aktivierung oder Verstärkung von Vorstellungen bei den Lesenden führen. So ist in Eichendorffs Gedicht auffällig, dass die erste und die letzte Strophe sehr ähnlich sind, dass das Mühl(en)rad sich am Anfang und am Ende dreht, dass also die erste und letzte Strophe einen Rahmen bilden. Das lyrische Ich erträgt anscheinend nicht, dass seine Liebste, die in der Mühle gewohnt hat, zwar verschwun- den ist, aber das Mühlrad sich noch immer dreht. Das Beständige ist also nicht die Liebe, sondern der Kreislauf des Mühlrads. Wollte man ein Wortspiel anbringen, könnte man sagen, das lyrische Ich ist am Ende angesichts des sich noch immer drehenden Mühlrads in Gefahr durchzudrehen. Gedichtinterpretationen verlangen auch eine Analyse der Formelemente. Eine Analyse des Gedichts „Der König in Thule“ ergibt folgendes Ergebnis: sechs Strophen , pro Strophe vier Verszeilen , pro Verszeile drei Senkungen und Hebungen = Jambus (die Zeilen 1, 7, 19, 23, 24 beinhalten eine zusätzliche Senkung). Diese Form der Strophe wird Volksliedstrophe genannt. Analyse und Interpretation von Gedichten verlangen die notwendigen Fachbegriffe und ihre Verbindung mit entsprechenden Verben bzw. Fügungen. Die folgende Liste umfasst Beispiele für Wendungen, die immer wieder eingesetzt werden: Das Gedicht hat den Titel / trägt den Titel / ist mit dem Titel „…“ überschrieben / Der Autor hat dem Gedicht den Titel „…“ gegeben. Das Gedicht besteht aus sechs Strophen / weist sechs Strophen gleicher Länge auf / umfasst fünf gleich lange Strophen / setzt sich aus drei unterschiedlich langen Strophen zusammen … Die fünfzeilige Strophe wird durch eine Verszeile abgeschlossen, die aus einem einzigen Wort besteht / gebildet wird. Die Form des Gedichts ist regelmäßig. Es besteht aus fünf Strophen zu je vier Verszeilen mit jeweils drei Hebungen. Das Gedicht verwendet durchgängig den Jambus. Die Zeilen 14, 16, 22 und 24 enden auf den gleichen Reim. Das Ende jeder Verszeile fällt mit dem Ende eines Satzes oder Teilsatzes zusammen, es liegt also Zeilenstil vor. Das Gedicht ist durch Enjambement geprägt. Jede Strophe ist in Form des Kreuzreims gestaltet, wobei a immer weiblich, b immer männlich endet. Das jambische Versmaß wird in den Zeilen 1, 7, 19, 23 und 24 durchbrochen. In diesen Zeilen findet sich eine zusätz- lich unbetonte Silbe. Der Autor verwendet das Bild des Mühlrads für / um … Die Assonanzen mittels t-Laut unterstreichen das Thema des Todes. Die erste Strophe ist durch die Assonanz des Vokals a geprägt / dominiert / beherrscht. In der Eingangsstrophe … / In der Schlussstrophe / In der Endstrophe / In der abschließenden Strophe / In der Schlusszeile / Im letzten Vers / In der letzten Verszeile … An dieser Stelle / Im dritten Vers / Gleich zu Beginn der ersten Strophe / Mit dem ersten Wort tritt das lyrische Ich explizit ins Gedicht. Das lyrische Ich ist in diesem Gedicht abwesend / tritt nicht in Erscheinung … Das lyrische Ich wendet sich an ein Du. Jede Strophe wird mit der anaphorischen Formel „Ich verzeihe mir“ eingeleitet / eröffnet / begonnen. Ordnen Sie diese Aussagen dem jeweiligen Gedicht zu. Für eine Interpretation ist allerdings die Aufzählung formaler Elemente zu wenig. Man muss darüber hinaus darauf achten, ob einzelne dieser Elemente eine besondere Bedeutung für die Interpretation haben können. So kann man darauf achten, ob das Tempo des Rhythmus in einem Gedicht eine Rolle spielt, ob sich das Tempo ändert, ob das Versmaß an wichtigen Stellen durchbrochen wird usw. In Goethes Gedicht „Der König in Thule“ sind Inhalt, Sprache und Form besonders gut verbunden: Der Volksliedvers gilt als schlicht, eingängig und einprägsam. Es wird uns also eine schlichte Geschichte erzählt. Ü16 Ü17 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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