sprachreif, Schreibkompetenztraining: Analytische und interpretatorische Textsorten
7 2. 1 — Leseabsichten unterscheiden Die Presse: Sie sind kommende Woche Keyno- te-Speaker beim DMVÖ-Marketing-Kongress, der unter demMotto steht: „Die Schlacht um den Kunden“. Spielt sich denn ein Krieg um Kunden ab? Alfred Koblinger: Die Sprache in unserer Branche ist tatsächlich kriegerisch: Das Wort „Slogan“ wur- de von den schottischen Clans als Schlachtruf ver- wendet, wenn sie auszogen, um den Clanmitglie- dern des Nachbardorfes den Schädel einzuschla- gen. Und auf eine „Zielgruppe“ legt man an, um zu schießen. Dabei geht es im Marketing darum, eine Beziehung zwischen Marke und Kunden aufzu- bauen – das funktioniert wie bei einer menschli- chen Beziehung: Ich will das Objekt meiner Be- gierde kennenlernen, ihm nahekommen, es viel- leicht fürs ganze Leben haben. Dafür muss ich immer etwas tun – selbst wenn ich einmal verhei- ratet bin, reicht es nicht, meiner Frau zum Hoch- zeitstag Rosen zu schenken. Kommunikation ist für mich kein kriegerischer, sondern ein erotischer Akt. Werbung, aber auch Umwerbung. Trotzdem ndet eine Werbeschlacht statt: Man hört ständig „besser“, „schneller“, „billiger“. Es gibt von allem zu viel, die Produkte sind aus- tauschbar geworden, die meisten Bedürfnisse er- füllt. Einer senkt den Preis, und damit beginnt die Schlacht. Dann kommt es darauf an, dem Kunden die Qualität einer Marke zu vermitteln, damit er auch bereit ist, mehr zu bezahlen. Denn wo die Geiz-ist-Geil-Mentalität hinführt, hat man ja gese- hen: zu einer Verrohung der Sitten. Wie inszeniert man dann am besten eine Marke? Was eine Marke macht und wie, das ist kaum mehr differenzierend. Es geht vor allem um das Warum. Warum soll ich diese Marke kaufen? Welchen An- spruch hat sie? Nehmen wir Nike: Die bewerben nicht das beste Sportequipment der Welt, sondern bestärken mich: Just do it! Du bist der Held, wir helfen dir nur dabei. Das schaffen aber nur wenige Unternehmen. Die meisten nehmen sich viel zu ernst und erklären mir, wie gut sie sind. Ich bin der Größte, ich bin der Schnellste. Aber die Menschen blenden diese Art von Werbung brutal aus: Unser Gehirn ist ja unser faulstes Organ – es wird nur ak- tiv, wenn Belohnungen versprochen werden. Bei- spiel Red Bull: Es verleiht Flügel – sprich: Du wirst besser. Sie befassen sich aber nicht nur mit Gehirn- forschung – auch mit Psychologie. Ja, wir erzählen archetypische Geschichten. Die sind uns ja allen eingebrannt – von Kindheit an. Von Schneewittchen bis Aschenputtel – Märchen, Sagen, auch erfolgreiche Filme oder Bücher wie „Harry Potter“ machen diese Archetypen in uns lebendig. Die Geschichten in der Werbung funk- tionieren dann besonders, wenn ihnen so eine ar- chetypische Geschichte zugrunde liegt und wenn es diesen Belohnungsreiz gibt, der all diesen Ge- schichten innewohnt. Wie hat das Internet die Werbung verändert? Früher haben wir stellvertretend für eine Marke mit dem Konsumenten gesprochen: Das ist gut, kauf es. Das funktionierte one-way. Dann ist ein Dialog mit dem Kunden entstanden – über Mai- lings, Telefonmarketing. In einer digitalen Welt wird massenmediale Werbung kritisch hinterfragt. Viel wichtiger für eine Kaufentscheidung ist, was Freunde und Bekannte sagen. Sich in diese Gesprä- che einzuklinken – über Onlinemedien, über Face- book etc. – und Empfehlungen zu stimulieren, ist eine große Herausforderung heute. Werden wir in Zukun mit persönlicher Wer- bung überschwemmt? Was passiert mit den Daten? Big Data ist in aller Munde. Kunden hinterlassen Unmengen von Daten im Netz, mit denen wir sie dann individuell targeten können – da sind wir wieder bei der Kriegssprache. Aber die Frage ist: Wann wird es dem Konsumenten zu viel? Wenn Sie heute eine Pflanzenfibel bei Amazon kaufen, kriegen sie die nächsten dreißig Jahre wöchentlich Gartenbücher und -geräte vorgeschlagen – haben aber unter Umständen gar keinen Garten. Stellen Sie sich das gleiche Szenario am Handy vor. Die wesentlich bessere Alternative: Marken schaffen Content, der für ihre Kunden von Nutzen ist und über den sie reden – da kann ich subkutan meine Markenbotschaften dazuliefern. Content im Internet wird auch manipuliert – z. B. durch gekaue Likes oder Empfehlungen. Überall, wo Schweinereien möglich sind, werden sie auch begangen. Aber wir sehen, dass auf Face- book die Likes wieder abnehmen, auch die Fälle, in denen Konsumenten mit einer Marke kommuni- zieren, indem sie z. B. für den neuen Burger voten. Es wird einfach zu viel. Und wenn die Jungen sa- gen, in Zukunft wird alles digital sein, sage ich: Okay, aber wir brauchen auch Massenmedien, über die wir Markenmagie aufbauen können. : Die Presse, 02. 09. 2013 Kommunikation als „erotischer Akt“ Psychologie. „Slogan“ war einst ein Schlachtruf – erklärt Agenturchef Alfred Koblinger. Er hält die Sprache im Marketing für zu kriegerisch und unser Gehirn für ziemlich faul. VON ISABELLA WALLNÖFER 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 Nur zu Prüfzwecken – Eig ntum des Verlags öbv
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