sprachreif, Schreibkompetenztraining: Analytische und interpretatorische Textsorten

34 3. 2 — Die Textanalyse wies er Studienanfängern in der ersten Vorlesung einen Platz im Hörsaal zu. Erstaunlicherweise be­ einflusste die Sitzordnung in dieser einen Veran­ staltung die Entwicklung von Freundschaften: Per­ sonen, die zufällig nebeneinandergesessen hatten, waren ein Jahr später stärker miteinander befreun­ det als Kommilitonen, die voneinander entfernt gesessen hatten. „Menschen bewerten andere spontan positiv, wenn sie sich in unmittelbarer Nähe befinden“, sagt Back. […] Berechnung spielt ebenfalls eine Rolle, hat die Stu­ die gezeigt: Wir suchen unsere Freunde auch da­ nach aus, was wir uns von ihnen versprechen. Wie nützlich Studenten ihre Kommilitonen zu Beginn des Semesters einschätzten, hatte Einfluss darauf, mit wem sie sich anfreundeten. In erster Linie galt das für emotionale Bedürfnisse, erklärt Denissen: „Wie gut wird eine Person mich trösten oder amü­ sieren können? Kann sie eine wohlige Stimmung schaffen?“ […] Sogar ganz pragmatische Erwägungen spielen eine Rolle – ob jemand uns bei Reparaturen helfen kann oder wichtige Informationen parat hat. „Die Leute haben da durchaus eine berechnende Herange­ hensweise“, sagt Denissen. Das mag zwar un­ romantisch sein, überraschend aber ist es nicht. „Man muss ja mal evolutionär die Frage stellen, warum es Freundschaften gibt“, sagt Denissen und verweist auf das harte Leben unserer Vorfahren. „Da ist es plausibel, anzunehmen, dass Freund­ schaften auch ein Mittel sind, um uns gegenseitig in schwierigen Situationen zu helfen.“ Besonders in schwierigen Situationen zeigt sich der wahre Wert von Freunden: Sie machen uns stark und schützen vor Stress. Um das zu messen, bringen Wissenschaftler Menschen in die unange­ nehmsten Situationen. Der Freiburger Psycholo­ gieprofessor Markus Heinrichs etwa ließ Proban­ den Präsentationen vor einem Publikum samt Ka­ mera halten. Anschließend mussten sie ohne Vorwarnung auch noch Kopfrechenaufgaben lö­ sen. Ein Albtraum für viele. Manche kamen mit der Situation aber besser zurecht als andere: Das waren diejenigen, die ihren besten Freund oder ihre beste Freundin hatten mitbringen dürfen. „Sie waren erheblich weniger gestresst als die Personen, die allein kommen mussten“, sagt Heinrichs. Die Forscher maßen in ihrem Speichel eine niedrigere Konzentration des Stresshormons Cortisol, und die Probanden selbst berichteten über weniger Angst und Unruhe. Dabei durften die Freunde nur während der Vorbereitungsphase anwesend sein, nicht beim Test selbst. Heinrichs bringt seine Er­ gebnisse auf eine Faustformel: „Zehn Minuten an meiner Seite, schützt ein Freund mich über eine Stunde lang wirksam vor Stress.“ […] In Gegenwart von Freunden erscheinen Probleme kleiner – und Berge buchstäblich flacher: In Expe­ rimenten schätzen Menschen die Steigung eines Hügels tatsächlich geringer ein, wenn ein Freund neben ihnen steht. Je länger sie ihn kennen, desto stärker ist der Effekt. Oft reicht sogar der Gedanke an ihn, damit der Berg schrumpft. „Wir verbuchen unsere Freunde als potenzielle Unterstützung“, sagt Psychologieprofessor Denissen. „Wer solche Res­ sourcen hat, stuft ein Problem als weniger bedroh­ lich ein.“ Denissen hat festgestellt, dass Menschen an Tagen, an denen sie ihre Freunde treffen, ein höheres Selbstwertgefühl haben. […] Eines zeigen Studien deutlich: Wer gute soziale Be­ ziehungen hat, ist zufriedener, körperlich gesünder und lebt sogar länger. Letzteres offenbarte erst vor Kurzem eine Metaanalyse von Psychologen der Brigham Young University in Utah. Die Forscher werteten Studien mit insgesamt mehr als 300.000 Personen aus, deren Gesundheitszustand im Schnitt über acht Jahre dokumentiert worden war. Menschen mit engen Bindungen hatten eine 50 Prozent höhere Chance, diesen Zeitraum zu über­ leben. Fehlender sozialer Rückhalt erwies sich da­ gegen als ebenso schädlich wie der tägliche Kon­ sum von 15 Zigaretten oder Alkoholmissbrauch und schädlicher als Sportverweigerung oder Über­ gewicht. : ZEIT Wissen, Nr. 01/2011 (Text gekürzt) http://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/01/Freundschaª/komplettansicht ; 29. 12. 2014; siehe auch: Sprachräume 3, S. 50–51. 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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