sprachreif, Schreibkompetenztraining: Argumentative und appellative Textsorten

82 3. 5 — Meinungsrede banken-Kredits zur Rettung der Spekulations-Banditen. Für die humanitäre So- forthilfe (und die reguläre Entwicklungshilfe) blieb und bleibt praktisch kein Geld. Wegen des Zusammenbruchs der Finanzmärkte sind die Hedgefonds und andere Groß-Spekulanten auf die Agrarrohstoffbörsen (Chicago Commodity Stock Ex- change, u. a.) umgestiegen. Mit Termingeschäften, Futures, etc. treiben sie die Grundnahrungsmittelpreise in astronomische Höhen. […] Die Dürre tötet ungestört. Diesmal wird sie viele Zehntausende töten. Viele der Schönen und der Reichen, der Großbankiers und der Konzern-Mogule dieser Welt kommen in Salzburg zusammen. Sie sind die Verursacher und die Her- ren dieser kannibalischen Weltordnung. Was ist mein Traum? Die Musik, das Theater, die Poesie – kurz: die Kunst – trans- portieren die Menschen jenseits ihrer selbst. Die Kunst hat Waffen, welche der ana- lytische Verstand nicht besitzt: Sie wühlt den Zuhörer, Zuschauer in seinem Inners- ten auf, durchdringt auch die dickste Betondecke des Egoismus, der Entfremdung und der Entfernung. Sie trifft den Menschen in seinem Innersten, bewegt in ihm ungeahnte Emotionen. Und plötzlich bricht die Defensiv-Mauer seiner Selbstgerechtigkeit zusammen. Der neoliberale Profitwahn zerfällt in Staub und Asche. Ins Bewusstsein dringt die Rea- lität, dringen die sterbenden Kinder. Wunder könnten in Salzburg geschehen: Das Erwachen der Herren der Welt. Der Aufstand des Gewissens! Aber keine Angst, dieses Wunder wird in Salzburg nicht geschehen! Ich erwache. Mein Traum könnte wirklichkeitsfremder nicht sein! Kapital ist immer und überall und zu allen Zeiten stärker als Kunst. „Unsterbliche gigantische Personen“ nennt Noam Chomsky die Konzerne. Vergangenes Jahr – laut Weltbankstatistik – haben die 500 größten Privatkonzerne, alle Sektoren zusammen genommen, 52,8 % des Welt-Bruttosozialproduktes, also aller in einem Jahr auf der Welt produzierten Reichtümer, kontrolliert. Die total entfesselte, sozial völlig unkontrollierte Profitmaximierung ist ihre Strategie. Es ist gleichgültig, welcher Mensch an der Spitze des Konzerns steht. Es geht nicht um seine Emotionen, sein Wissen, seine Gefühle. Es geht um die strukturelle Gewalt des Kapitals. Produziert er dieses nicht, wird er aus der Vor- stands-Etage verjagt. Gegen das eherne Gesetz der Kapitalakkumulation sind selbst Beethoven und Hofmannsthal machtlos. […] Die Hoffnung liegt im Kampf der Völker der südlichen Hemisphäre, von Ägypten und Syrien bis Bolivien, und im geduldigen, mühsamen Aufbau der Radikal-Oppo- sition in den westlichen Herrschaftsländern. Kurz: in der aktiven, unermüdlichen, solidarischen, demokratischen Organisation der revolutionären Gegengewalt. Es gibt ein Leben vor dem Tod. Der Tag wird kommen, wo Menschen in Frieden, Gerechtigkeit, Vernunft und Freiheit, befreit von der Angst vor materieller Not, zusammenleben werden. Mutter Courage, aus dem gleichnamigen Drama von Bertolt Brecht, erklärt diese Hoffnung ihren Kindern: Es kommt der Tag, da wird sich wenden Das Blatt für uns, er ist nicht fern. Da werden wir, das Volk, beenden Den großen Krieg der großen Herrn. Die Händler, mit all ihren Bütteln Und ihrem Kriegs- und Totentanz 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 Nennung weiterer Fakten Bedrohliches Schuldzuweisung, Anklage, Verbindung zum Publikum Aufbau einer Vision: positive Kraft der Kunst Zerstörung der Vision; Erkenntnis: „Geld ist stärker als Kunst“ Beleg der These „Geld ist stärker als Kunst“ mittels Fakten Nochmalige Betonung der These „Geld ist stärker als Kunst“ Aufbau einer neuen Vision Beschwörung der neuen Vision von einer idealen Zukunft 92 94 96 Untermauerung der Vision durch literari- sches Beispiel Abschluss: Dank Sie wird auf ewig von sich schütteln Die neue Welt des g’meinen Manns. Es wird der Tag, doch wann er wird, Hängt ab von mein und deinem Tun. Drum wer mit uns noch nicht marschiert, Der mach’ sich auf die Socken nun. Ich danke Ihnen. quelle: http://www.sueddeutsche.de/kultur/dokumentation-jean-ziegler-nicht-gehaltene-rede-zur-eroeffnung-der-salzburger-festspiele-1.1124001 ; 15. 03. 2014 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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