sprachreif, Schreibkompetenztraining: Argumentative und appellative Textsorten
101 4. 1 — Ein Themenbereich – sechs Aufgabenstellungen zu den unterschiedlichen Textsorten sechs Jahren zusammentrommeln. Mit ihnen Spie- le spielen und dann und wann ein Lied singen – auch wenn er selbst sagt, dass sein musikalisches Talent ausgeprägter sein könnte. Gregor Müllner ist einer der wenigen seiner Art. Nicht einmal jeder hundertste Kindergarten- pädagoge in Österreich ist ein Mann. Dabei wären Männer in den Kindergärten dringend nötig, sagt der Innsbrucker Psychologe und Pädagoge Josef Christian Aigner, der sich seit einigen Jahren mit demThema befasst. Warum, dafür gibt es eine gan- ze Reihe von Gründen. Ein erster, simpler: „Man sollte nicht einfach die Hälfte der Welt – die männ- liche – aus dem Kindergarten draußen lassen.“ Männer sind Mangelware. Umso mehr, als Män- ner im Alltag von kleineren Kindern oft Mangel- ware sind. Immer mehr Eltern sind geschieden, Kinder wachsen größtenteils bei den Müttern auf, Väter werden zu Randpersonen. Besonders die Bu- ben reagieren darauf nicht immer unproblema- tisch. Sie wollen „männlich“ sein – dabei wissen sie oft gar nicht, wie Männer wirklich sind. Die Päda- gogen haben daher eine wichtige Funktion. „Es braucht die männlich konnotierten Eigenheiten“, sagt Aigner. „Aber: Die Kinder sollen auch sehen, dass Männer dasselbe machen können wie Frauen, dass Männer auch fürsorglich sein können.“ Wie Männer im Kindergarten tatsächlich wirken, hat Aigner kürzlich in einer vom Sozialministeri- um geförderten Studie erforscht. Mehr als 40 Stun- den Videomaterial vom Alltag in Kindergärten mit und ohne männliche Betreuer wurden dafür analy- siert. Fazit: Männer tun den Buben gut – und nicht nur ihnen. Da wäre einmal, dass Buben häufiger die Nähe der männlichen Betreuer suchen als die der Frauen. Während Mädchen mit Frauen wie mit Männern gleichermaßen kommunizieren, fühlen sich die Buben bei männlichen Betreuern offenbar besser aufgehoben. Sie gehen aktiver auf sie zu, und wenn sie Hilfe brauchen – beim Spielen, bei Aufgaben –, holen sie sich diese eher von den Män- nern. „Die Buben haben offenbar einen Bedarf an gleichgeschlechtlichem Austausch“, sagt Aigner. In den gemischt geführten Gruppen sind die Bu- ben außerdem extrovertierter, aktiver und raum- greifender. Ein positiver Effekt? Ja, meint Forscher Aigner: „Sie erlauben sich ihre Verhaltensweisen eher, wenn ein Mann dabei ist.“ Nicht ohne Grund: Was das Herumtoben betrifft, sind die männlichen Betreuer toleranter als die Frauen – allen gegen- über, auch den Mädchen. Spielerisches Raufen, Rangeleien, Bewegung – all das ist offenbar selbst- verständlicher für die Männer als für die Frauen. Die Gefahr, dass die Mädchen untergehen, bestehe aber nicht, sagt Aigner. Im Gegenteil: Auch sie würden von der Anwesenheit der männlichen Pä- dagogen profitieren. Denn sie nähern sich dem an, was gemeinhin als Bubenverhalten gilt. „Ge- schlechtstypisches Verhalten wird durch die Män- ner nicht verstärkt, sondern durchmischt“, sagt Aigner. Gregor Müllner kann das zum Teil bestätigen. Im Alltag, sagt er, übernehme er genau die gleichen Aufgaben wie seine Kolleginnen, trotzdem verhal- ten sich die Kinder anders: Bei ihm testen sie die Grenzen öfter aus. Wollen wissen, wie weit sie ge- hen können. Was wohl daran liegt, dass Müllner eine Spur länger zusieht als seine Kolleginnen. Ein grundsätzlicher Unterschied: „Ich denke oft: Das machen wir schon. Das kriegen wir schon hin.“ Die Kolleginnen würden sich mit dieser Einstel- lung manchmal schwer tun. Auch in der Tagesge- staltung merkt er einen Unterschied. Er tut sich eine Spur leichter, sich Spiele für die Buben auszu- denken. „Bei den Mädchen muss ich öfter nachfra- gen, was sie wollen.“ Trotzdem hält Müllner nicht allzu viel von Unterscheidungen zwischen den Frauen und Männern im Kindergarten: „Wichtig ist, dass jeder einfach gute pädagogische Arbeit leistet.“ Abschreckende Vorurteile. Aigner ist indes über- zeugt, dass es – neben den vielen Frauen – mehr Männer braucht. Sein nächstes Projekt: Er will he- rausfinden, welche Maßnahmen wirken, um Män- ner für den Beruf des Kindergartenpädagogen zu gewinnen. Was sie davon abhält, hat Aigner bereits im Vorjahr in der Studie Elementar untersucht. Er- gebnis: Ein unterbewertetes, nicht professionali- siertes Berufsbild, die traditionelle Kindferne von Männern und eine Art Generalverdacht gegen männliche Pädagogen – Stichwort: pädophil – sind die Hauptgründe dafür, dass sie in Kindergärten unterrepräsentiert sind. Gregor Müllner ist über Umwege zu seinem Job gekommen. Nach einer Malerlehre arbeitete er in der Gastronomie und als Nachtwächter. „Damals hatte ich viel Zeit nachzudenken“, sagt er. Weil sein Volksschullehrer ein Vorbild war, kam er auf die Idee, Kindergartenpädagoge zu werden. Heute ist er mit der Entscheidung glücklich. Eines ist für ihn aber klar: „Wer karriereorientiert ist, ist in dem Job falsch.“ Kaum Aufstiegschancen, schlechte Bezah- lung: Und das betrifft imKindergarten Männer wie Frauen gleichermaßen. quelle: „Die Presse“, Print-Ausgabe, 27.01.2013; http://diepresse.com/home/bildung/erziehung/1337262/Kindergarten_Maenner-tun-nicht-nur-den-Buben-gut; 22. 08. 2014 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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