Deutsch – Mündliche Reifeprüfung, Maturatraining

2. 11 — „Gender“ und Geschlechterrollen „Gender“ und Geschlechterrollen Thema: Veränderungen im Rollenbild der Frau im Wandel der Zeit anhand ausgewählter Texte 2.11 – Text 1: Arthur Schnitzler: Fräulein Else Text 2: Elfriede Jelinek: am beispiel paula Text 3: Christa Wolf: Selbstversuch Sprechen Sie über folgende Aufgabenstellung: ― Beschreiben Sie die unterschiedlichen historischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse, denen die einzelnen Frauenfiguren unterliegen. ― Erläutern Sie, welche Rollenbilder der Frau in den jeweiligen Texten entworfen werden. ― Erschließen Sie sprachliche Auffälligkeiten und ihre Wirkungsweise in Verbindung mit den vermittelten Rollenbildern. ― Vergleichen Sie die präsentierten Frauen(rollen)bilder mit jenem Frauenbild, das Ihnen für die heutige Zeit in unserer Gesellschaft am angemessensten erscheint. Ausgewählte Teilkompetenzen , die Sie für die Lösung der Aufgabe benötigen: Sie können … ― epische Kurztexte analysieren und die entsprechenden Fachbegriffe richtig anwenden ― männliche und weibliche Rollenbilder als kulturell und historisch geprägte Konstruktionen verstehen und bewerten ― die „Frauenfrage“ als Thema der Literatur reflektieren (Frauenthemen, Emanzipation … ) ― Geschlechterklischees anhand literarischer Charaktere und ihrer Handlungen beschreiben ― Sprache in Bezug auf Gendersensibilität reflektieren und beurteilen Aufgabe Text 1: Arthur Schnitzler: Fräulein Else (1924) (Text in alter Rechtschreibung) 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Inhalt: Else, die Tochter eines Wiener Rechtsanwalts, soll bei einem Urlaubsaufenthalt in Italien den reichen Kunsthänd- ler Dorsday dazu bringen, ihrem hochverschuldeten Vater finanziell beizustehen. Dorsday ist dazu unter der Bedingung bereit, dass Else sich ihm nackt zeigt. Else ist innerlich zerrissen zwischen dem drohenden Verlust ihrer Selbstbestimmung durch Zurschaustellung ihres Körpers und der Loyalität ihrem Vater gegenüber. Du sollst deine fünfzigtausend Gulden haben, Papa. Aber die nächsten, die ich mir verdiene, um die kaufe ich mir neue Nachthemden mit Spitzen besetzt, ganz durchsichtig und köstliche Seidenstrümpfe. Man lebt nur einmal. Wozu schaut man denn so aus wie ich. Licht gemacht, – die Lampe über dem Spiegel schalt ich ein. Wie schön meine blondroten Haare sind, und mei- ne Schultern; meine Augen sind auch nicht übel. Hu, wie groß sie sind. Es wär schad um mich. Zum Veronal ist immer noch Zeit. – Aber ich muß ja hinunter. Tief hinunter. Herr Dorsday wartet, und er weiß noch nicht einmal, daß es indes fünfzigtausend geworden sind. Ja, ich bin im Preis gestiegen, Herr von Dorsday. Ich muß ihm das Telegramm zeigen, sonst glaubt er mir am Ende nicht und denkt, ich will ein Geschäft bei der Sache ma- chen. Ich werde die Depesche auf sein Zimmer schicken und etwas dazu schreiben. Zu meinem lebhaften Be- dauern sind es nun fünfzigtausend geworden, Herr von Dorsday, das kann Ihnen ja ganz egal sein. Und ich bin überzeugt, Ihre Gegenforderung war gar nicht ernst ge- meint. Denn Sie sind ein Vicomte und ein Gentleman. Morgen früh werden Sie die fünfzigtausend, an denen das Leben meines Vaters hängt, ohne weiters an Fiala senden. Ich rechne darauf. – ‚Selbstverständlich, mein Fräulein, ich sende für alle Fälle gleich hunderttausend, ohne jede Gegenleistung und verpflichte mich überdies, von heute an für den Lebensunterhalt Ihrer ganzen Fa- milie zu sorgen, die Börsenschulden Ihres Herrn Papas zu zahlen und sämtliche veruntreute Mündelgelder zu ersetzen.‘ Adresse bleibt Fiala. Hahaha! Ja, genau so ist der Vicomte von Eperies. Das ist ja alles Unsinn. Was bleibt mir denn übrig? Es muß ja sein, ich muß es ja tun, alles, alles muß ich tun, was Herr von Dorsday verlangt, damit der Papa morgen das Geld hat, – damit er nicht eingesperrt wird, damit er sich nicht umbringt. Und ich werde es auch tun. Ja, ich werde es tun, obzwar doch al- les für die Katz ist. In einem halben Jahr sind wir wieder gerade so weit wie heute! In vier Wochen! – Aber dann geht es mich nichts mehr an. Das eine Opfer bringe ich – und dann keines mehr. Nie, nie, niemals wieder. ja, das sage ich dem Papa, sobald ich nach Wien komme. Und dann fort aus dem Haus, wo immer hin. Ich wer- 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 46 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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