Deutsch – Mündliche Reifeprüfung, Maturatraining

2. 9 — Österreichische Literatur 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 dem ungarischen Mezötúr im Komitat Szolnok stam- mende Dr. Weisz ist spätestens in Krems den Strapa- zen des Marsches nicht mehr gewachsen. Zusammen mit einer Gruppe von Kranken, nicht mehr Marsch- fähigen wird er im Häfen zurückgelassen. Zu seinem Glück im Unglück gibt es im Kremser Gefängnis ne- ben Anstaltsleiter Hofrat Kodré eine kleine Gruppe von Justizwachebeamten, die dem NS-Regime ambivalent bis ablehnend gegenübersteht. Dr. Weisz erhält zumin- dest rudimentäre Unterstützung bei seinem Versuch, sich um die Erschöpften medizinisch zu kümmern. Am Morgen des 25. April 1945 bekommen er und sei- ne Gruppe einen Marschbefehl Richtung Linz. Zu ihrer Verblüffung wird ihnen keine Wache für den Marsch zugeteilt. Sie verlassen das Gefängnis, unschlüssig, wo- hin sie sich tatsächlich wenden sollen. Unter den unga- risch-jüdischen Zwangsarbeitern aus der Mengergasse hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits herumgesprochen, dass Linz, das befohlene Marschziel, nichts anderes ist als ein Tarnname für das KZ Mauthausen. Mauthausen aber, das ahnen sie, das wissen sie, bedeutet im April 1945 für sie den Tod, den Tod durch Verhungern oder den Tod durch Vergasung. Auf der anderen Seite wagen sie es aber auch nicht, sich entgegen dem Marschbefehl Richtung Osten zu wenden und sich damit in das un- mittelbare Frontgebiet zu begeben. Entlaufene Zwangs- arbeiter, jüdische obendrein, werden in Kampfgebieten von der Waffen-SS unbarmherzig gejagt und sofort li- quidiert. Also bleibt Dr. Weisz und seiner Gruppe an diesem 25. April gar nichts anderes übrig, als sich lang- sam Richtung Westen zu bewegen. Das geht nur kurz gut, nur bis Groisbach, dort werden sie von der Gendar- merie festgenommen und weitergetrieben. Die kleine Gruppe schwillt rasch an, die Gendarmen verhaften auf dem Weg eine ganze Reihe von ungarischen Juden, die sich in den Dörfern versteckt gehalten haben, und trei- ben sie Richtung Westen. Am 25. April 1945 kommt Dr. Henrik Weisz im so genannten Judenauffanglager am Donauufer in Persenbeug an. Die Qualen des Marsches durch Wien und halb Niederösterreich sind für ihn und seine Familie zu Ende.“ quelle : Manfred Wieninger: 223 oder Das Faustpfand. St. Pölten/Salzburg/Wien: Residenz 2012, S. 25–27. 52 54 56 58 60 62 64 66 68 Zusatzinformation Manfred Wieninger ist ein niederösterreichischer Publizist, der vor allem mit Kriminalromanen um den Detektiv Marek Miert bekannt geworden ist. Tipps für die Weiterarbeit: Anregungen bezüglich der Analyse epischer Texte finden Sie bereits beim zweiten Themenbereich (S. 19). Wenn Sie sich für Kriminalromane interessieren und in Ihrer privaten Leseliste einen entsprechenden Schwer­ punkt setzen wollen, so stoßen Sie in der Schulbibliothek sicher auf brauchbares Material. Suchen Sie z. B. unter den Zeitschriften, ob Sie die Fachzeitschriften „Praxis Deutsch“, „Der Deutschunterricht“ oder „informationen zur deutschdidaktik“ entdecken. Jede hat sich in letzter Zeit in einem Heft mit Kriminalliteratur beschäftigt. Auch diverse Literaturgeschichten setzen sich mit dem Thema auseinander. Informationen über die österreichische Literatur der Gegenwart enthalten natürlich die Literaturgeschichten. Besonders informativ ist ein Heft der Fachzeitschrift „informationen zur deutschdidaktik“ (4/2011), das dem Thema „Österreichische Gegenwartsliteratur 2000–2010“ gewidmet ist. Interessant für Sie könnte auch der Vergleich zwischen Buch und Film sein („Medienverbund“), der sich bei vielen Kriminalromanen anbietet. Denken Sie etwa an etliche Romane Henning Mankells oder Friedrich Dürren­ matts. TIPP . Lösungsmöglichkeiten: ― Inhalt: Der Textausschnitt fasst aus der Sicht des jüdischen Arztes Dr. Weisz Ereignisse zwischen dem 7. und 25. April zusammen. Während dieser Tage wird er mit über 600 anderen Juden von Wien Richtung Westen getrieben. Ziel ist das Konzentrationslager Mauthausen. ― Erzählstrategie: Er-Erzählung; auktoriales Erzählverhalten; berichtartiger Charakter des Textes: genaue Zeit- und Ortsangaben, Nennung von Namen, Darstellung der Ereignisse in zeitlicher Abfolge. Erzähler kennt die Zusammenhänge, tritt als Chronist der Ereignisse auf. Verwendung des Präsens verleiht dem Dargestellten Unmittelbarkeit. 40 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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