Deutsch – Mündliche Reifeprüfung, Maturatraining

2. 7 — Kanonische Texte terricht durchzunehmenden Bücher viel zu lang. Das überfordere sowohl die Lehrer als auch die Schüler. Beim Kanon wolle er sich deshalb auf ein Minimum beschränken. […] Literatur müsse Spaß machen, sagt Marcel Reich- Ranicki und bezieht dabei den Deutschunterricht ausdrücklich mit ein. „Gerade der Deutschun- terricht sollte unbedingt unterhaltend sein. Nur kommt es darauf an – und das ist durchaus mög- lich –, die Schüler nicht mit minderwertiger, son- dern mit guter Literatur zu unterhalten.“ Auf die Frage, welche zehn oder zwölf Bücher ein Abiturient unbedingt gelesen haben müs- se, antwortet Marcel Reich-Ranicki nur ungern: „ Werther, Effi Briest, Buddenbrooks, Der Prozess, Faust I , je ein Band mit ausgewählten Dramen von Schiller und Kleist, je ein Band mit ausgewählten Gedichten von Goethe, Heine und Brecht. Und wenn Sie mir noch zwei Titel genehmigen sollten, schlage ich einen Band mit den Werken von Büch- ner vor und einen Auswahlband mit der Lyrik der deutschen Romantiker.“ Auf die provozierende Frage eines Journalisten, ob der Kanon so etwas wie eine Hitparade sei, antwortete Marcel Reich-Ranicki: „Entscheidend war für mich weder die Beliebtheit einzelner Wer- ke noch ihr Verkaufserfolg. Worauf also kam es mir an? Kurz gesagt: Auf den literarischen Wert und auf die Lesbarkeit.“ […] Dass er mit dem Vorhaben, einen Kanon der deutschen Literatur herauszugeben, eine heftige Diskussion auslösen würde, ahnte Marcel Reich- Ranicki bereits im „Spiegel“-Gespräch: „Ob in Deutschland, in Österreich oder in der Schweiz – es wird sich kein einziger Germanist finden, der einen solchen Kanon-Vorschlag für ansatzweise akzeptabel hält. Jeder wird empört darauf hinweisen, dass dieser oder jener Autor fehlt.“ Das Argument, ein solcher Kanon sei überflüssig, nahm er bereits in dem „Spiegel“-Gespräch vor- weg und meinte dazu: „Die Frage, ob wir einen solchen Katalog benötigen, ist mir unverständ- lich, denn der Verzicht auf einen Kanon würde den Rückfall in die Barbarei bedeuten.“ quelle : Literatur muss Spaß machen. Interview mit Marcel Reich-Ranicki. In: Der Spiegel 25/2001. 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 Zusatzinformation Der Kübelreiter: Dieser kurze Prosatext entstand im Jänner/Februar 1917 und spielt auf die Kohlennot im Krieg an; er besitzt einen sonst bei Kafka ungewöhnlichen Zeitbezug. Marcel Reich-Ranicki (1920–2013) galt als der einflussreichste Literaturkritiker Deutschlands. Seine Aussagen wurden von vielen Literaturinteressierten als sehr wichtig eingestuft. Tipps für die Weiterarbeit: Ausgaben von Kafka-Texten finden sich in jeder Schulbibliothek. Wählen Sie einige der kürzeren Texte aus und wenden Sie das Adjektiv „kafkaesk“ auf diese Werke an. Benennen Sie inhaltliche, sprachliche und stilistische Gemeinsamkeiten der Texte. Lesen Sie die Kanonliste von Reich-Ranicki (siehe http://www.dieterwunderlich.de/Reich_Ranicki_kanon.htm; 09. 08. 2013) und überlegen Sie, welche der angeführten Werke in Ihrem Deutschunterricht durchgenommen wurden. Versuchen Sie die Auswahl der Texte auf Grundlage der Aussagen von Reich-Ranicki zu begründen. TIPP . Lösungsmöglichkeiten: ― Inhalt: Während einer strengen Kälteperiode macht sich der Ich-Erzähler auf zum Kohlenhänd­ ler, um sich in einem Kübel Kohlen zu holen. Da er kein Geld dafür hat, hofft er auf die Güte des Kohlenhändlers, dessen langjähriger Kunde er ist. Um möglichst bescheiden aufzutreten, reitet er auf seinem leeren Kübel in den Verkaufsraum des Händlers. Dieser sieht ihn zwar nicht, vernimmt aber von fern den Ruf einer alten Kundschaft und möchte sie suchen, was seine praktisch denkende Frau mit Hinweis auf seinen schlechten Gesundheitszustand verhindert. Sie wischt den geschwächten Ich-Erzähler einfach mit einer Bewegung ihrer Schürze hinweg. Der Ich-Erzähler verschwindet in eisigen Regionen. 34 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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