Deutsch – Mündliche Reifeprüfung, Maturatraining

2. 6 — Themen, Stoffe, Motive und Mythen im Wandel der Zeiten Text 1: Sophokles: Antigone (Uraufführung vermutlich um 442 v. Chr.) 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 Inhalt: Nach Ödipus’ Tod teilen sich seine Söhne Eteokles und Polyneikes jährlich abwechselnd die Herrschaft über die Stadt Theben. Als Eteokles jedoch nach einem Jahr seinem Bruder nicht weichen möchte, geraten die beiden in einen Kampf und verlieren ihr Leben. Ihr Onkel Kreon folgt ihnen nun auf den Thron und lässt Eteokles ehrenvoll bestatten; Polyneikes jedoch soll vor den Toren der Stadt den Tieren zum Fraß vorgeworfen werden. Das Gesetz der Götter verlangt allerdings, dass jeder Tote zu bestatten sei. Antigone, die Schwester der getöteten Könige, widersetzt sich dem königlichen Gesetz und begräbt Polyneikes. Die zweite Schwester, Ismene, hat nicht den Mut dazu. Antigone wird auf das Geheiß von Kreon lebendig eingemauert; ihr Tod führt zu einer Kette von Selbstmorden: Kreons Sohn Haimon, Antigones Verlobter, tötet sich ebenso wie Kreons Frau Eurydike. ISMENE: Was ist’s? ich merke, wie es in dir wogt! ANTIGONE: Gab Kreon nicht dem einen unsrer Brüder Des Grabes Ehr’ und weigert sie dem andern? Eteokles barg er nach Recht und Sitte Im Schoß der Erde, heißt es, dass er drunten Bei den Verstorbenen in Ehren steht, Des Polyneikes armer Leichnam aber Darf nicht beweint und nicht begraben werden So sei dem Volk befohlen, unbeklagt Und unbestattet soll man ihn den Vögeln, Sie lauern schon, zum üppigen Fraße lassen! Ein solch Gebot hat uns der edle Kreon Verkündet, dir und mir, du hörst: auch mir. Und er wird selbst erscheinen, um es allen, Die es nicht wissen, deutlich anzusagen. Und damit scherzt er nicht: Wer’s dennoch tut, Der stirbt durch Steinigung vor allem Volk. So steht’s. Nun wirst du zeigen, bist du edel Geboren oder schlugst du aus der Art. ISMENE: Verwegne! Wenn es so steht, was kann ich Dann lösend oder knüpfend daran ändern? ANTIGONE: Sieh, ob du Müh’ und Arbeit teilen willst! ISMENE: Was für ein Wagnis kommt dir in den Sinn? ANTIGONE: Ob deine Hand mit mir den Toten birgt. ISMENE: Begraben willst du ihn, trotz dem Verbot! ANTIGONE: Ja, meinen Bruder, und versagst du dich, Auch deinen. Zum Verräter werd’ ich nicht. ISMENE: Vermessne! Kreon hat es untersagt! ANTIGONE: Er darf mich von den Meinen doch nicht trennen. ISMENE: Ach Schwester, denke, wie der Vater uns Verhasst und ohne Ruhm zugrunde ging, Für selbstenthüllte Frevel sich die Augen Ausstach, er selber, mit der eignen Hand! Wie sie dann, die ihm Weib und Mutter war In einem, schändlich sich erhängte! Und wie an einem Tage unsre Brüder, Unselig Paar, das gleiche Todeslos lm Wechselmorde sich bereiteten! Und nun wir beiden Übrigen, bedenk, Wie schlimm wir enden, wenn wir dem Gesetz Zum Trotz der Herrscher Machtwort übertreten! Wir müssen einsehn, dass wir Frauen sind, Mit Männern uns zu messen nicht bestimmt. Der Stärkere hat über uns Gewalt, Er kann noch Härtres fordern als nur dies. So flehe ich zu denen unterm Boden, Kreon und Antigone 28 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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