Spielpläne Oberstufe, Schulbuch

279 „Rede in Tönen“ in Passion und Kantate Ein kennzeichnendes Stilmittel barocker Musik ist die musikalische Rhetorik − die Über- tragung von Prinzipien der Redekunst auf die Musik. Wie diese Idee in der Musik der Baro- ckepoche zu voller Ausprägung gelangt, wird an Ausschnitten der Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach aufgezeigt. Gestaltungsmittel sind musikalische Figuren, die wie ein Abbild der Geschehnisse oder der Gefühle wirken, die der Text schildert. Die Beispiele geben Ihnen Gelegenheit, stilspezifische Beziehungen zwischen der syntaktischen und der semanti- schen Ebene der Musik zu erkennen. Johann Sebastian Bach: „Barrabas aber war ein Mörder“, Rezitativ Nr. 18c, aus „Johannes-Passion“, BWV 245 (1724/25) In der Passionsgeschichte nach Johannes ist folgende Situation beschrieben: Christus ist zum Tod am Kreuz verurteilt worden. Der römische Statthalter Pilatus eröffnet dem Volk die Möglichkeit, einen der Verurteilten freizugeben, und fragt die Menge, ob Jesus Christus frei- kommen soll. Das Volk lehnt dies ab und verlangt stattdessen die Freilassung des Mörders Barrabas. z zugang zur musikpraxis Hören Sie das Rezitativ. Beschreiben Sie dessen Wirkung auf Sie mit geeigneten Begriffen. 14. Jh. 20. Jh. 17. Jh. 16./17. Jh. Ab 9. Jh. Ab 12. Jh. 18./19. Jh. ZEITLEISTE Passion und Oratorium Passion: szenisch akzentuierte Dar- stellung des Passions- geschehens, Wechsel zwischen Vorsängern und mehrstimmi- gem Chor (Jünger, Hohepriester, Juden, Mägde, Soldaten) Oratorium: mit Rezitativen und Da-capo-Arien nach dem Vorbild der Oper frühestes überliefertes Werk: Emilio de‘ Cavalieri, Rappresentazione di anima e di corpo , 1600 Oratorienartige Werke auf Bibeltexte mit betrachtenden Intermedien: Heinrich Schütz, Weihnachtshistorie (1664) Passion: Heinrich Schütz, Historia des Leidens und Sterbens unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi nach den Evangelisten Matthäus/Lukas/ Johannes (a cappella mit freier rezitativischer Gestaltung des Bibeltextes und Chören) Oratorium: geistliches Werk für Solisten, Chor, Instru- mente, zunächst für musikalische Andachten in Italien Passion: − protestantische Choralpassion auf Basis des gre- gorianischen Passionstons (erste deutschsprachige Passion von Johann Walter um 1530, s. S. 251) − motettische Passion, mehrstimmig durchkomponiert nach Art der Motette, s. S. 261, auch Evangelisten- texte Passionsspiele: Aufführung der Passionsgeschichte mit verteilten Rollen im Wechsel von gesproche- nen und gesungenen Teilen außerhalb der Liturgie Oratorische Passion: Erweiterung der Gestaltungsmöglichkeiten durch Aufnahme freier Texte (Arien, Choräle), Johann Sebastian Bach, Matthäus-Passion (1727, mit 68 Nummern umfangreichste Passion) Oratorien: – auf Stoffe aus dem Alten Testament, z.B. Georg Friedrich Händels Oratorien in englischer Sprache mit Chor als Träger der Handlung und gleichzeitiger Betrachter – Allegorie-Oratorium mit personifizierter Darstellung etwa von Charakterzügen, z.B. Johann Adolph Hasse, Le virtù appie della croce – mit sinfonischen Elementen, z.B. Joseph Haydn, Die Schöpfung (1797), Die Jahreszeiten (1801) Endgültige Lösung der Gattung aus dem kirchlichen Rahmen, z.B. Ludwig van Beethoven, Christus am Ölberge (1803), Felix Mendelssohn Bartholdy, Paulus (1836), Elias (1846), Hector Berlioz, L’Enfance du Christ (1854) Passion in der Liturgie: Aufteilung der verschiedenen Personen auf mehrere Priester (vox christi, vox evangelista, andere Personen) Passion und Oratorium z.B. Igor Strawinsky, Oedipus Rex (1927), Olivier Messiaen, La Transfiguration de Notre-Seigneur Jésus- Christ (1965–69), Wolfgang Rihm Deus Passus (2000), Arvo Pärt, Johannespassion (1982) z. T. mit aktuellen Zeitbezügen, z.B. Frank Martin, Golgatha (1945–48), Krzysztof Penderecki, Lukaspassion (1962–65) Musik als Sprache realisiert sich auf zwei Ebenen: (1) Syntax (= äußere Gestaltung und Gliederung): Die Musik bildet hier Merkmale der äußeren Sprachgestaltung (wie z.B. Satz- zeichen, Pausen, Sprechmelodie beim Lesen) nach. (2) Semantik (= inhaltliche Bedeutung): Wichtige Textinhalte werden durch musikalische Mittel unterstrichen. Geißelung Christi, Tafelbild von Rueland Frueauf d. Ä. (1440–1507) IV, 19 w9x9wt Musik erfassen 08 analyse epochen der musikgeschichte: barock Nur zu Prüfzwecken – Eigentum p des Verlags öbv

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