Begegnungen mit der Natur 8, Schulbuch
Krebs ist die zweithäufigste Todesursache in Österreich In Österreich erkranken jährlich etwa 38000 Menschen an Krebs, rund 20000 Krebserkrankungen enden tödlich. Damit sind Krebserkrankungen nach den Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems die zweithäufigste Todesursache. Doch was ist der Grund für diese Häufigkeit? Ein Mensch besteht aus 10 14 (100 Billionen) Zellen, täglich gehen etwa 10 11 davon (rund 10dag) zu Grunde und werden wieder nachproduziert. Im Laufe eines Le- bens sind dies 2 000 bis 3 000 kg Zellen (1kg = 10 12 Zellen). Bei diesemgewaltigen Zellumsatz (Turnover) kann folglich vermehrt etwas schief gehen. Zellregulierende Gene können mutieren Fehlregulierte Zellteilungen sind in den meisten Fällen auf Mutationen in den zellregulierenden Genen zurückzuführen. Zeigen sich aufgrund der Mutatio- nen auch Veränderungen an der Zelloberfläche, werden die betreffenden Zellen vom Immunsystem als „fremd“ erkannt und vernichtet (siehe Begegnungen mit der Natur, Band 6). Ist dies nicht der Fall, entgehen sie als körpereigene Zellen der Immunabwehr. Zellteilung und -wachstum geraten in der Folge außer Kontrolle. Häufig mutiert das p53-Gen Heute weiß man, dass mehr als die Hälfte aller Krebserkrankungen auf den Aus- fall des p53 zurückzuführen sind. Ist das p53-Gen durch Mutation verändert (zB ausgelöst durch eingeatmete Inhaltsstoffe des Zigarettenrauches), bleibt das Protein, das nach der veränderten Bauanleitung produziert wird, inaktiv. Es gibt aber auch Viren (zB bestimmte Papillomaviren , siehe Seite 45), die p53 „ab fangen” und es damit hindern, die Zelle zu schützen. Eine Inaktivierung von p53 allein verursacht allerdings noch nicht Krebs. Die Krebsentstehung ist eine langjährige Entwicklung. Im Folgenden soll dies am Beispiel einer Hautzelle demonstriert werden. Erst nach mehreren Mutationen entsteht Krebs Die Haut besteht aus mehreren Zellschichten (Unter-, Leder- und Oberhaut). Die Zellen der untersten Schicht der Oberhaut, die Basalzellen , sind teilungs fähig. Bei der Teilung bleibt die untere Zelle als Basalzelle zurück, die zweite wird nach oben geschoben und beginnt, Hornschüppchen einzulagern. Ganz oben befinden sich nur noch Hornplatten. Zwischen den obersten Schichten der Haut und der untersten teilungsfähigen erfolgt ein Informationsaustausch. Die obers- ten Schichten schicken kurze Aminosäureverbindungen nach unten. Die Basal- zellen haben Rezeptoren für diese Moleküle (Schloss-Schlüssel-Prinzip). Sind alle Rezeptoren besetzt, „weiß“ jede einzelne Basalzelle, dass oben genügend Zellen vorhanden sind und sie sich nicht teilen muss. Bei Zellverlust an der Oberfläche werden weniger Aminosäuremoleküle nach unten geschickt: das ist für die Basalzelle der Befehl für die Zellteilung. Findet nun zufällig in einer Basalzelle, in der p53 mutiert ist, eine Mutation statt, die das Rezeptorprotein auf der Basalzelle auch nur minimal verändert, passt das Aminosäuremolekül nicht mehr („der Schlüssel passt nicht mehr ins Schloss“). Der Rezeptor bleibt unbesetzt. In der Folge würde sich die Zelle nun fortgesetzt zu teilen beginnen. Über gap junctions senden die Nachbarzellen allerdings Hemmstoffe aus, die eine Zellteilung verhindern. Die Mutation ist zwar vorhan- den, bleibt aber folgenlos. Wochen, Monate bis Jahre können nun vergehen und zufällig tritt in derselben Zelle eine nächste Mutation auf, die die Struktur (und damit die Funktion) der gap junctions betrifft. Damit unterbleibt die Hemmung durch die Nachbarzel- len – die mutierte Zelle beginnt sich unkontrolliert, fortgesetzt zu teilen (Klon bildung). Es entsteht ein so genanntes Carcinoma in situ . Wird in diesem Sta dium der Tumor operativ entfernt, ist der Krebs zu 100 % heilbar. zellregulierende Gene Die Mutationen können Protoonkogene und Tumorsuppressorgene betreffen. Mutierte Protoonkogene werden als Onko- gene bezeichnet, sie regen die Zellteilung an. Tumorsuppressorgene werden durch Mutation inaktiv, wodurch die Teilungs- hemmung aufgehoben wird. Immunsystem Menschen mit einem geschwächten Im- munsystem (zB AIDS-Kranke) sind anfälli- ger für die Entstehung bösartiger Tumore. Papillomaviren Warzenviren; von den etwa 100 bekann- ten Papillomaviren-Typen, sind 26 hu- manpathogen (für den Menschen krank- heitserregend). Einige davon befallen die Zellen der Anal- und Genitalschleimhaut. Haut Die Gesamtoberfläche unserer Haut be- trägt 1,6 bis 1,8 m 2 , die unseres ca. 9 m (!) langen Verdauungstraktes ca. 2 000 m 2 (!) Basalzelle basis (lat.) = Sockel gap junctions sind Kanäle in der Zellmembran, die das Cytoplasma benachbarter Zellen mit einander verbinden Carcinoma in situ Karzinom ohne abgewanderte Zellen; in situ (lat.) = in natürlicher Lage 27 Basalzellen (Lichtmikroskopie) Selbst aktiv! 1. Finde eine Erklärung für das ge- häufte Auftreten der Karzinome bzw. das seltenere Auftreten der Sarkome und der Leukämien. 2. Vermute. Welche biologische Bedeutung könnte der relativ hohe Turnover der Oberflächen- zellen haben? Warum heilt eine Schnittwunde im Vergleich zu einem Knochenbruch viel rascher? 3. Begründe, warum die Krebsrate bei alten Menschen höher ist als bei jungen, der Krebs bei alten Menschen jedoch meistens nicht so rasch fortschreitend verläuft. Arbeitsheft Seite 27 M 64 Humangenetik Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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