Begegnungen mit der Natur 8, Schulbuch
Eugenik und„Rassenhygiene“ Das wissenschaftliche Auseinandersetzen mit der Vererbung von Merkmalen führ- te im 19. Jahrhundert auch zur äußerst fragwürdigen und ethisch höchst bedenk lichen Übertragung von Erkenntnissen aus der Vererbungslehre auf das Leben der Menschen und verschiedener Völker. So führte die Anwendung theoretischer Konzepte der Genetik auf die menschliche Bevölkerung zur Entwicklung einer neuen Disziplin, zur Eugenik . Gegründet wurde die Eugenik, die„Erbhygiene zur Verbesserung der menschlichen Rasse“, im Jahre 1883 von Francis Galton . Dieser hatte bereits 1865 einen Artikel veröffentlicht, in dem er die Ansicht vertrat, dass die soziale Degeneration der Menschheit nur durch „Menschenzucht“ nach Art der Tier- und Pflanzenzucht auf- zuhalten sei. Er forderte „durch wohlausgewählte Ehen während einiger aufeinan- derfolgenden Generationen eine hochbegabte Menschenrasse hervorzubringen“. Obwohl die damals entwickelte Lehre nach heutiger Sicht, aber besonders nach ethischen undmoralischen Kriterien, als menschenverachtend anzusehen ist, stieß sie international auf großes Interesse. Zum Beispiel forderte Alfred Ploetz in seinem 1895 erschienen Buch„Die Tüchtig- keit unserer Rasse undder Schutz der Schwachen“ eineÜberprüfungdermoralischen und intellektuellen Fähigkeiten der Menschen, deren Ergebnis über eine Heirats- möglichkeit, eine erlaubte Anzahl von Kindern bis hin zum Fortpflanzungsverbot entscheiden solle. Weiters vertrat Ploetz die Ansicht, dass unerlaubt gezeugte Kin- der abgetrieben sowie krankeund schwacheKinder schmerzlos getötetwerdenmüss- ten. 1905 gründete Ploetz in Deutschland die„Gesellschaft für Rassenhygiene “. Im Nationalsozialismus nahm die„Rassenhygiene“ entsetzliche Ausmaße an Ploetz war mit seiner menschenverachtenden Lehre einer derWegbereiter für die Ideologie des nationalsozialistischen Deutschen Reiches unter Adolf Hitler . Die- ser verwendete die Eugenik dazu, das„Erbgut des deutschen Volkes zu reinigen“. Die Deutschen, als „ arische Rasse “ bezeichnet, galten als „Herrenmenschen“, während andere Völker und Volksgruppen, insbesondere die Slawen, Juden und die Volksgruppe der Roma und Sinti als „minderwertige“ oder sogar „lebens unwerte Untermenschen“ definiert und diskriminiert wurden. „Nicht deutschblütigen“ Personen wurden durch Entzug der deutschen Staats- bürgerschaft alle staatsbürgerlichen Rechte entzogen, Ehen und sexueller Kon- takt zwischen der „arischen“ und „nichtarischen“ Bevölkerung wurden verboten. Hitlers „Rassenwahn“ forderte im Holocaust allein das Leben von rund sechs Mil- lionen Juden, Roma und Sinti. Aber auch innerhalb der„eigenen Rasse“ war Hitler bestrebt, alles von den Natio- nalsozialisten als „minderwertig“ Definierte zu eliminieren: Etwa 250000 Men- schen wurden von Ärzten zwangssterilisiert. An die 5 000 Kinder und 70000 Er- wachsene, die laut ÄrztenBehinderungen aufwiesen, kriegsinvalid, altersschwach waren oder als „Schädlinge im deutschen Volkskörper“ galten (Prostituierte, Homosexuelle, Kriminelle, Regimegegner …), wurden ermordet. Eugenik Erbgesundheitslehre; wurde mit der Ab- sicht gegründet, durch gezielte Förderung von Individuen, deren Eigenschaften als „wertvoll“ zugewiesen wurden, und durch Ausschließung von Trägerinnen bzw. Trä- gern angeblich minderwertigen Erbguts von der Fortpflanzung eine genetische Verbesserung des Menschen zu erzielen. Vor allem aufgrund seiner historischen Be- lastung (siehe unten) hat der Begriff heute eine weitgehend negative Konnotation und findet in der modernen Humangene- tik nur mehr sehr selten Verwendung eugenetes (griech.) = von guter Art Francis Galton (1822–1911), britischer Naturforscher und Schriftsteller; Cousin von Charles Darwin (siehe Seite 102) Alfred Ploetz (1860–1940), deutscher Arzt „Rassenhygiene“ Ploetz verwendete den Begriff synonym für Eugenik; der Begriff„Rassenhygiene“ setzt allerdings auf eine stärkere Gewich- tung des Begriffes„Rasse“ (siehe Seite 130) und stieß damit auf starke Resonanz in der Ideologie des Nationalsozialismus Adolf Hitler (1889–1945), Diktator des„Deutschen Reiches“ zwischen 1933 und 1945 „arische Rasse“ Begriff, der in der Ideologie des National- sozialismus die„indogermanische Herren- rasse“ klar von allen anderen„nicht arischen Rassen“ unterscheiden sollte aria (sanskrit) = Edler Rassenpflege, Rassenhygiene, Eugenik Die Pflege, Erhaltung und Verbesserung der rassischen Eigenart und Erbgesundheit eines Volkes. Von der Überzeugung ausgehend, dass die Leistungen eines Volkes wesentlich von der Güte seiner erblichen geistig-seelischen und körper- lichen Anlagen abhängen, stellt sich die Rassenhygiene die Aufgabe, der Entartung vorzubeugen und das Erbgut des Volkes zu erhalten und zu bessern. Durch Gegenauslese, besonders Männerverluste in Kriegszeiten, werden die guten Erblinien vermindert, durch unbeschränkte Fortpflanzung krankhafter Erblinien (Schwachsinnige, Verbrecher, Geistes- kranke, manche erblichen Missbildungen usw.) wird der Wert eines Volkes herabgesetzt.(…) Eine weitere Aufgabe der Rassenhygiene ist, auf die Gefahren hinzuweisen, die durch das Einfließen fremdrassischen Blutes in den Volkskörper entstehen, und Maßnahmen vorzuschlagen und zu treffen, die diese Schädigungen unterbinden (Blutschutzgesetz). 21 Abstammungsnachweis aus der Zeit des Nationalsozialismus 22 Brockhaus 1937, Stichwort „Rassenpflege“ ▶ 60 Humangenetik Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv
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