Zeitbilder 4, Schulbuch
36 Die Juden in Österreich zwischen den Weltkriegen Häufig wird die Geschichte der Jüdinnen und Juden reduziert auf die Gräuel der Shoa. So wichtig und notwendig eine Auseinandersetzung damit ist, tritt jedoch dadurch der Beitrag des Judentums für die österreichische Gesellschaft oft in den Hintergrund. Alle Berufe In Wien beispielsweise umfasste die jüdische Bevölkerung im März 1938 etwa 200 000 Personen. Diese Männer und Frauen waren in sämtlichen Berufsgruppen vertreten: Arbeiter, kleine Handwerker, Kaufleute, Beamte und Lehrer, Ärzte und Rechtsanwälte, Wissenschaftler, Bankkaufleute und Fabrikanten. Viele von ihnen waren nicht religiös, sondern fühlten sich dem Judentum auf Grund von kulturellen Traditionen verbunden. Beitrag zu Wissenschaft und Kultur Österreichische Bürgerinnen und Bürger jüdischer Herkunft trugen viel zum wissenschaftlichen und kulturellen Leben des Landes und Europas bei. So lieferte die Physikerin Lise Meitner* herausragende Beiträge zur Weiterentwicklung der Kernphysik. Eine bahnbrechende Leistung in der Medizin gelang Karl Landsteiner mit der Entdeckung der Blutgruppen. Dafür erhielt er im Jahr 1930 den Nobelpreis für Medizin. Sigmund Freud und Alfred Adler* waren richtungweisend in der Psychoanalyse*. Sie beeinflussten mit ihren Fragestellungen unter anderem die Dramen von Arthur Schnitzler* sowie die Romane und Erzählungen von Stefan Zweig*. Der Schriftsteller Joseph Roth* behandelte in mehreren Romanen das Ende der Donaumonarchie. Franz Molnar* beschrieb mit seiner spannenden Erzählung „Die Jungen von der Paulstraße“ das Alltagsleben von Kindern und Jugendlichen. Große Aufmerksamkeit erregte Egon Friedell* mit seinen kulturgeschicht- Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Shoa (siehe S. 58) am Wiener Judenplatz, geplant von Rachel Whiteread, errichtet im Jahr 2000 (Fotografie, 2004) Die Historikerin Evelyn Adunka über die Geschichte der Juden in Wien Q Die Geschichte der Wiener Juden ist auch eine Geschichte der Verfolgungen und Vertreibungen. Schon im Mittelalter hatte Wien eine bedeutende jüdische Gemeinde. Ihre Synagoge am Judenplatz wurde 1421 zerstört. Gemäß dem Text der Wiener Geserah* begingen ihre letzten Mitglieder dort kollektiven Selbstmord, 300 von ihnen wurden auf einer Wiese in Erdberg verbrannt. Die zweite jüdische Gemeinde wurde 1669/70 von Kaiser Leopold I. vertrieben. Die dritte jüdische Gemeinde, die mit über 180000 Menschen die absolute Blütezeit des Wiener Judentums erreichte, wurde 1938 noch grausamer zerstört. (E. Adunka, Die vierte Gemeinde) Am 3. September 1923 jubelten Wiens Fußball-Fans: Mit 5:0 besiegte die jüdische Fußballmannschaft Hakoah (= Kraft) in London das europäische Spitzenteam West Ham United. 1924/25 wurde sie österreichischer Fußballmeister. Das Sportzentrum der Hakoah im Wiener Prater wurde 2008 wiedereröffnet. (Fotografie, 1923) Jüdisches Leben vor und nach der Shoa Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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