Literaturräume, Schulbuch

4 Beobachtungen und Einsichten eines Weltreisenden Christoph Martin Wieland: „Die Geschichte des Agathon“ (1766 bis 1794) Eine Reise durch die Welt Neben Lessing hat Christoph Martin Wieland an der Erneuerung der deutschen Literatur um 1750 großen Anteil. Wieland war mit der Weltliteratur wie kaum ein Zweiter vertraut – er gilt als erster großer deutscher Übersetzer – und brillierte auch als Essayist und Romancier. Die „Geschichte des Agathon“, an dessen verschiedenen Fas­ sungen Wieland von 1766 bis 1794 schrieb, führt den Griechen Agathon durch die ganze Welt mit dem Bestreben, eine Vernunft und Menschlichkeit verbindende Persönlichkeit zu werden. Am Ende von Agathons Reisen beschreibt ihn der Erzähler so: 95 Der leseraum Er nahm wenig Vorurteile mit, da er auszog, und fand sich auch von diesen wenigen entledigt, als er wieder zurückkam. […] Er sah allenthalben – was man bis auf diesen Tag sehen kann – dass sie [die Menschen] nicht so gut sind, als sie sein könnten, wenn sie weiser wären: aber er sah auch, dass sie unmöglich besser werden können, ehe sie weiser werden; und dass sie nicht weiser werden können, bis ihre Väter und Mütter, Ammen, Pädagogen, Lehrer und Priester […] so weise geworden sind, als jedes […] sein müsste, um […] der menschlichen Gesellschaft wirklich nützlich zu sein. Er sah also, dass wahre Aufklärung zu moralischer Besserung das Einzige ist, worauf sich die Hoffnung besserer Zeiten, das ist, besserer Menschen, gründet. […] Er fand jeden Ort, jede Provinz, jede Nation, die er kennen lernte, desto glücklicher, je besser die Sitten der Einwohner waren; und, ohne Ausnahme, sah er die meiste Verderbnis, wo äußerste Armut, oder äußerster Reichtum herrschte. Er fand bei allen Völkern, die er durchwanderte, die Religion in Aberglauben gehüllt, zum Schaden der bürgerlichen Gesellschaft gemissbraucht, und durch Heuchelei oder offene Gewalt zum Werkzeug des Betrugs, der Herrschsucht, des Geizes, der Wollust, und des Müßiggangs herabgewürdigt. Er sah, dass einzelne Menschen und ganze Völker Religion ohne Tugend haben können, und dass sie dadurch desto schlimmer sind […]. Er sah die Gesetzgebung, die Staatsverwaltung und die Polizei allenthalben voller Mängel und Gebre- chen: aber er sah auch, dass die Menschen ohne eben diese Gesetze, Staatsverwaltung und Polizei noch weit schlimmer und unglücklicher wären. Er hörte allenthalben über Missbräuche klagen, sah, dass jedermann die Welt verbessert wissen wollte, sah eine Menge Leute, die an der Verbesserung derselben zu arbeiten bereit und an Vorschlägen unerschöpflich waren; aber keinen Einzigen, der die Verbesserung an ihm selbst anfangen lassen wollte; – und er erklärte sich ganz natürlich daraus, warum es nirgends besser werden wollte. > Fassen Sie zusammen: a) Agathons Beobachtungen b) seine Aufforderungen c) die Hindernisse für eine „bessere“ Gesellschaft! F A s AUFGABE Christoph Martin Wieland 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 Nur zu Prüfzwecken – Eig ntum des Verlags öbv

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