Literaturräume, Schulbuch

DIe anfänge Der DeutschsprachIgen lIteratur Im frühen mIttelalter (770–910 unD 1060–1170) Die erste Vater-Sohn-Tragödie, „Vokabel- hefte“, Evangelien und Zaubersprüche 770 Erste schriftliche Zeugnisse in deutscher Sprache. 910/1060 Fast zeitgleich mit dem Ende der Herrschaft der Karolinger in Deutschland (911) verstummt die deutschsprachige Literatur für eineinhalb Jahrhunderte. 1170 Der sprachliche Wandel vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeut­ schen ist vollzogen, neue Themen erschei­ nen, religiöse Stoffe werden zurückge­ drängt, die Welt der Ritter und der Höfe wird zum Mittelpunkt der Literatur. Das funDament Am Anfang stehen Schlachtgesänge und Runeninschriften Die erste Erwähnung germanischer Dichtung Der römische Geschichtsschreiber Tacitus (um 55 bis 116 n. Chr.) berichtet als Erster von einer Art Dichtung im heutigen deutschsprachigen Raum. Es handelt sich dabei, so interpretiert Tacitus, um Lieder zu Ehren des „Her­ kules“: Sie singen von ihm als dem ersten aller Helden, wenn sie in den Kampf ziehen. Außerdem haben sie noch eine Art von Liedern, durch deren Vortrag […] sie sich Mut machen und aus deren bloßem Klang sie auf den Ausgang der bevorstehenden Schlacht schließen; sie verbreiten nämlich Schrecken oder sind selbst in Furcht, je nachdem es durch ihre Reihen tönt […]. Es kommt ihnen vor allem auf die Rauheit des Tones und ein dumpfes Dröhnen an: Sie halten die Schilde vor den Mund; so prallt die Stimme zurück und schwillt zu größerer Wucht und Fülle an. Freilich geht es Tacitus vor allem darum, die Unterschiede zwischen Germanen und Römern zugunsten seiner eigenen Kultur zu betonen. Dennoch ist es Tatsache, dass die Germanen, als griechische und römische Dichter schon über Jahrhunderte literarische Werke schrieben, noch nicht über die Schrift verfügten und ihre Lieder mündlich weitergaben. Erst im 3. Jahrhundert n. Chr. entsteht die Runenschrift. Eingeritzt wurden die Runen meist in Holz, Stein oder Horn. Aber auch sie sind keine ursprünglichen germanischen Schriftzeichen. Sie stam­ men aus der lateinischen Schrift und sind erst nach dem Kontakt der Germanen mit den Römern entstanden. Die Runen wurden jedoch nicht als Kommunikationsmittel benutzt, sondern für magische Zwecke. Ihr ursprüng­ licher „Geheimnischarakter“ wird deutlich an dem zum selben Wortstamm gehörenden Verb „raunen“: Raunt man jemandem etwas zu, so will man eben Öffentlichkeit vermeiden. Der schwierige Weg zur Schriftkultur In den Jahrhunderten nach Tacitus erreicht die Völkerwanderung ihren Höhepunkt, vor allem germanische Stämme zerstreuten sich über ganz Europa. Diese Periode war für die Entwicklung einer germanischen Schrift­ kultur nicht günstig. Die Entwicklung von Schrift braucht politische Stabilität und eine zentrale Macht, in deren Auftrag geschrieben wird. Auf ständigen Wanderungen ist das Schreiben und vor allem Bewahren von Texten äußerst schwierig. Erst unter Karl dem Großen, der sich 771 die Alleinherrschaft über das Frankenreich, die „Keimzelle“ Frankreichs und Deutschlands, sichern konnte, entstanden diese Voraussetzungen. Die enge Verbin­ dung von Politik und Literatur zeigt sich auch sehr deutlich darin, dass zeitgleich mit dem Ende der Karolinger in Deutschland auch die deutschsprachige Literatur für mehr als 150 Jahre verstummt. 9 2 4 6 8 10 12 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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