Literaturräume, Schulbuch
Kritik an Gottscheds Vernunfttheater und Ständeklausel Doch gegen Gottscheds rigoroses Vernunfttheater regte sich auch Kritik. Dichtung dürfe sich nicht nur an den Verstand wenden, auch das Wunderbare habe in der Dichtung seinen Platz, so Gottscheds Schweizer Kritiker Johann Jakob Bodmer (1698–1783) und Johann Jakob Breitinger (1701–76). Der schärfste Gegner Gottscheds wurde Gotthold Ephraim Lessing: 89 die literaturübersicht „Niemand“, sagen die Verfasser der Bibliothek [einer Zeitschrift], „wird leugnen, dass die deutsche Schaubühne einen großen Teil ihrer ersten Verbesse- rung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.“ Ich bin dieser Niemand; ich leugne es gerade zu. Es wäre zu wünschen, dass sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten, [!] oder sind wahre Verschlimmerungen. Lessing gab zwar zu, dass das Theater zu Beginn des 18. Jahrhunderts in derbe Spektakel ausgeartet und Gott scheds Kritik berechtigt war. Doch Lessing wandte sich sowohl gegen die strikte Forderung nach den drei Ein heiten als auch gegen die Ständeklausel: Die Namen von Fürsten und Helden können einem Stücke Pomp und Majestät geben; aber zur Rührung tragen sie nichts bei. Das Unglück derjeniger, deren Umstände den unsrigen am nächsten kommen, muss natürlicher Weise am tiefsten in unsere Seele dringen; und wenn wir mit Königen Mitleiden haben, so haben wir es mit ihnen als Menschen, und nicht als Königen. Lessing verweist auf die Tragödien Shakespeares als Vorbilder. Sie bringen Personen auf die Bühne, mit denen sich das Publikum identifizieren kann, Menschen, die „mit uns von gleichem Schrot und Korn“ sind, „gemischte“ Charaktere, wie die Zuschauer selbst, mit guten und schlechten Eigenschaften. Mit der Forderung nach psycho logischer Gestaltung der Figuren legte Lessing ein bis heute gültiges Fundament für das Theater. Lessing setzt seine Kritik praktisch um Wie für Gottsched ist auch für Lessing die moralische Besserung des Publikums eine Aufgabe des Theaters. An ders als Gottsched meint Lessing aber, dass nicht kühles rationales Durchschauen, sondern Furcht und Mitleid die Basis für Verhaltensänderungen sind. Das Mitleid mit den Personen des Stücks und Furcht, dasselbe Schicksal zu erleiden wie sie, könne zur „Katharsis“ führen, der inneren Reinigung. Mit den „bürgerlichen Trauerspielen“ „Miß Sara Sampson“ und „Emilia Galotti“ (2) wollte Lessing dies zeigen. Sie gehören mit der Komödie „Minna von Barnhelm“ und dem Drama „Nathan der Weise“ (3) zu den vier auch heute noch regelmäßig auf den Spiel plänen stehenden Dramen der Aufklärung. Auch für ein von Wanderbühnen, Adel und Zensur möglichst unab hängiges Theater setzte sich Lessing ein. 1767 wurde von ihm in Hamburg der erste Versuch gestartet, ein solches deutsches „Nationaltheater“ zu gründen. Mangels zugkräftiger Stücke scheiterte jedoch der Plan nach zwei Jahren. Das große Thema des Romans: der Mensch auf dem Weg zur Humanität Ein Adeliger genießt kraft seiner Geburt Ansehen und Einfluss. Anders ist die Lage der Nichtadeligen. Nur durch Leistung, Bildung und vorbildlichen Lebenswandel können sie sich Geltung verschaffen. Die Schilderung der in neren Entwicklung des Menschen zu einem Wesen, das für die Gemeinschaft tätig ist und sich trotzdem seine persönliche Freiheit bewahrt, wird auch das Hauptthema des Romans der Aufklärung. Natürlich sucht das Romanpublikum auch Unterhaltung. Deshalb wird der Held der Romane häufig auf Reisen geschickt, wo er Abenteuer und Schicksale erlebt, bei denen er seinen Charakter beweisen kann. Der bedeutendste Roman dieser Epoche, die „Geschichte des Agathon“ von Christoph Martin Wieland (1733–1813) (4) , begründet zugleich die Tradition des deutschen „Bildungsromans“. 2 4 2 4 6 8 10 6 8 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des V rl gs öbv
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