Literaturräume, Schulbuch
78 DIe lIteratur Des barock (1600–1720) Der fokus Manierismus und Figurengedichte Der Manierismus: auf der Suche nach ausgefallener Sprache Texte, die das Ausgefallene, die Virtuosität der Sprache und die geistreiche Kombination der rhetorischen Mittel in den Vordergrund stellen, werden als manieristisch bezeichnet. Wortspiele, eine Fülle weit hergeholter Meta phern, Antithesen, Oxymora – die Verbindung einander widersprechender Begriffe wie „alter Knabe“, „heißer Schnee“, „weiser Narr“ – sollen bekannte Themen (Liebe, Glück, Vergänglichkeit) neu gestalten. Der Manierismus wird besonders in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts geschätzt. Sehr beliebt sind Gedichte, in denen ein Gegenstand oder Körperteil in einer langen Reihe von Metaphern beschrieben wird. Ein Meister dieser Gedichtart in Deutschland ist Hofmannswaldau. Gegen die manieristische Lyrik bildete sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts eine kritische Gegenbewegung, deren bedeutendster Autor Johann Christian Günther (1695– 1724) ist. Seine Gedichte verzichten auf übertriebenen sprachlichen Schmuck und richten sich an seine konkrete Geliebte. Günther wird zum Vorbereiter der Erlebnislyrik, welche die Lyrik ab dem „Sturm und Drang“ lange Zeit dominiert. Günther hatte allerdings zu seiner Zeit keinen Erfolg, er scheiterte literarisch und privat, vor allem an seinem harten Vater, der Dichten für einen unehrenhaften Beruf hielt. Christian Hofmann von Hofmannswaldau Auff den mund Mund! der die seelen kan durch lust zusammen hetzen Mund! der viel süsser ist als starcker himmels-wein Mund! der du alikant 1 des lebens schenckest ein Mund! den ich vorziehn muß der Inden reichen schätze Mund! dessen balsam uns kan stärcken und verletzen Mund! der vergnügter blüht / als aller rosen schein. Mund! welchem kein rubin kan gleich und ähnlich seyn. Mund! den die Grazien mit ihren quellen netzen; Mund! Ach corallen-mund / mein eintziges ergetzen! Mund! laß mich einen kuß auff deinen purpur setzen. Die Figurengedichte: lesen und schauen Das Bemühen der Barockdichtung um neue Formen führte auch zur Blüte der seit der Antike beliebten Figuren gedichte, bei denen die sprachliche Botschaft durch die visuelle Gestaltung unterstützt wird. Gedichte in Form von Sanduhren demonstrieren Vergänglichkeit, Kreuzformen den Glauben, Baumformen die Fruchtbarkeit der geistigen Arbeit. Nach der Barockzeit lange wenig gebraucht, wurde diese Form der Lyrik im 20. Jahrhundert wiederentdeckt. Die „konkrete Poesie“ zum Beispiel der Wiener Gruppe in den 50er und 60erJahren des 20. Jahrhunderts (Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm) und Ernst Jandl nehmen die barocken Anregungen auf und setzen sie ein, um Kritik an der verbrauchten Sprache der traditionellen Dich tung und des Alltags zu üben. 2 4 6 8 10 1 Alikant: Süßwein aus der südspanischen Provinz Alicante AUFGABEN > Betrachten und lesen Sie zwei Figurengedichte, die mit Bäumen und Früchten zu tun haben. Der Palm baum (1649) stammt von Philipp von Zesen, einem Mitglied der „Fruchtbringenden Gesellschaft“, deren Emblem die Palme war. Reinhard Döhl ist der Verfasser des „Apfelgedichts“ (1965). > Geben Sie das „Geschehen“ im Gedicht von Döhl in eigenen Worten wieder! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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