Literaturräume, Schulbuch
74 DIe lIteratur Des barock (1600–1720) 3 Ein unduldsamer Prediger, aber ein hervorragender Stilist Abraham a Sancta Clara: „Grabschrift der Alten“ und „Wunderlicher Traum von einem großen Narrennest: Der versoffene Narr“ (1703) In jeder Hinsicht heftig Er predigt für die katholische Gegenreformation und hat riesigen Zulauf. Seine Kritik ist beißend. Heftig ist seine Abneigung gegen alle nicht katholischen Religionen, seine Abwertung der Frau, die auf „Kirche, Küche, Kinder“ reduziert wird. Deshalb erscheinen die didaktischsatirischen Schriften von Abraham a Sancta Clara (eigentlich Hans Ulrich Megerle) heute teilweise unduldsam und pauschal. Unbestritten aber ist Sancta Clara ein Meister des Stils. Sein riesiges Werk umfasst Predigten („Mercks Wienn“, „Auff / auff Ihr Christen“), Fabeln, Satiren und die mit Predigten, Ermahnungen und Exempeln versehene romanhafte Lebensgeschichte des Judas („Judas der ErtzSchelm“). Unbestritten ist auch sein großer persönlicher Einsatz in Wien bei der Pestepidemie von 1679 und der Türkenbelagerung von 1683. Greise und Säufer Der erste Text schildert den Totentanz der Greise, die auf ihrem Grabstein mit Selbstironie auf ihre Alters gebrechen hinweisen, es aber versäumt haben, vor dem Tod „Rechenschaft“ zu geben. Der zweite Text – in Originalschreibung – ist ein Beispiel für die Kritik des Autors an den Lastern der Zeit. Grabschrift der Alten Krampel, Krüppel, Krempelwar, Liegt allerlei hierunder, Stelzen, Krücken, Paar und Paar, Du glaubst nicht, was für Plunder. Wir haben lange Jahr erreicht und schimmelweiß Parocken 1 , Das Gsicht war ganz und gar erbleicht, Die Wangen gleich den Socken. […] Das Elfenbein nicht mehr im Mund, Das Maul ein leere Taschen, Wir brauchten oft drei ganzer Stund, Ein Bröckl Brot zu naschen. Das matte Haupt, der Zitterkopf, Tät immer den Takt geben. […] Und dennoch, wie der bissig Tod Nach uns oft täte schnappen, Da wollten wir bald hü bald hot, Er soll uns nicht ertappen. Nit gern, nit gern, nit gerne dann Ließen wir unser Leben. Es war nicht um den Tod zu tun, Sondern Rech’nschaft zu geben. Der versoffene Narr Der weise Salomon liess einst dise Wort hören […]: Ich gedachte in meinem Hertzen / mein Fleisch vom Wein zu enthalten / und mein Gemüth auff die Weißheit zu wenden / und die Thorrheit zu vermeiden. Auß welchen Worten klar und sattsam erhellet / daß die Leuth durch das unmässige Sauffen zu Narren werden: Der Trunckenheit drei S. S. S. Merckts wol / und nicht vergeß / Sünd / Schand / Schad sie bedeuten. 1 Parocken = Perücken 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 2 4 6 8 10 AUFGABE > Darf man Ihrer Meinung nach über den Tod so drastisch und krass sprechen? Ist nach Ihrer Ansicht der Umgang mit dem Tod in unserer Kultur „menschlicher“ geworden? Diskutieren Sie in der Klasse darüber! Nur zu Prüfzwecken – Eigen um des Verlags öbv
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