Literaturräume, Schulbuch
Die zur Hexe gestempelten Frauen hatten in Wirklichkeit nie eine Chance. Man folterte sie so lange, bis sie in ihrem körperlichen Zusammenbruch nicht mehr weinen konnten. Konnten sie aber immer noch weinen, so legten manche Richter dies erst recht als „Hexenwerk“ aus, da man „normalerweise“ in einem solchen gemar terten Zustand nicht mehr weinen konnte. Die Predigt – Rhetorik, um das Volk zu erreichen Predigten sollen direkt auf die Zuhörer und Zuhörerinnen wirken, sie packen, tadeln, überzeugen. Die Beherr schung der rhetorischen Mittel ist dafür Voraussetzung. Die Predigten und Satiren des vor allem in Graz und Wien wirkenden katholischen Geistlichen Abraham a Sancta Clara (1644–1709), wie „Wunderlicher Traum von einem großen Narrennest“ , setzen auf alle Effekte der barocken Rhetorik: Wortspiele, Hyperbeln, Antithesen, Metaphern, Paradoxa (3) . Der Roman: Herrscherlob, Satire, Realitätsflucht Was soll ein Roman bieten? Der Roman soll barocken Poetiken gemäß Folgendes enthalten: Schönheiten / lüsterne Brunsten / Sehnungen / Eifersuchten / Rivalitaeten / Liebes-Liste / Nacht- und Hinterthür- oder Fenstervisiten / Küsse / Umarmungen / […] / Irr-Reisen / Verzweifflungen / begonnene oder vollbrachte Selbstmörd / Zweykämpff / See-Stürm / Gefangenschaften / Kriege / Blutbäder / Verkleidungen / Helden / Heldinnen / Wahrsagereyen / Beylager / Krönungen / Feste / Triumphe […]. Der deutsche Barockroman orientiert sich an den Vorbildern der anderen europäischen Literaturen, in denen sich drei Gattungen des Romans gebildet hatten: der „heroische Roman“, auch „höfischer Roman“ genannt, der „Schelmenroman“, nach dem spanischen Wort für Schelm auch als „Pikaroroman“ bezeichnet, und der „Schäfer roman“. Der heroische Roman – Lektüre für die Fürsten Der heroische Roman spielt auf der Ebene der Fürsten und dient ihrem Lob. Die Helden, fast immer ein Liebes paar, sind Idealmenschen, die nach Trennung und Überwindung vieler Widerwärtigkeiten aufgrund ihrer Stand haftigkeit zueinander finden. Vorbild für den deutschen heroischen Roman sind die im 16. und 17. Jahrhundert in ganz Europa verbreiteten Romane um den ritterlichen Helden Amadís de Gaula, die an die höfischen Epen des Mittelalters anknüpfen, sie allerdings um erotische Abenteuer erweitern. Amadis-Romane erreichten bis zu 25.000 Seiten. Die Häufung von Abenteuern regte aber auch zu literarischen Parodien an. Die bedeutendste Par odie und zugleich einer der großen Romane der Weltliteratur ist „Don Quijote“ (1605/15) von Miguel de Cer vantes. Der repräsentativste deutsche heroische Roman ist das 3000-Seiten-Werk „Großmüthiger Feldherr Armi nius“ von Daniel Casper von Lohenstein (1689). Der Schelmenroman – Kritik und Abkehr von der Welt Ganz im Gegensatz dazu spielt der Schelmenroman in den unteren Schichten: Soldaten, Räuber, Schauspieler, Dirnen. Die Figuren schrecken vor keinem Laster zurück, nicht Ordnung wird repräsentiert, sondern Hinterhältig keit und Verbrechen dominieren. Oft wird der Schelmenroman als fiktive Autobiographie gestaltet. Der Held schaut in der Ich-Form meist reuevoll auf sein Leben zurück und wirft einen satirisch-kommentierenden Blick auf die „verkehrte“ Welt, die ihm Einfalt und Unschuld geraubt hat und aus der er sich am Ende desillusioniert meist in ein Einsiedlerleben zurückzieht. Der wichtigste Pikaroroman der deutschen Barockliteratur und zugleich der bedeutendste Barockroman überhaupt ist der „Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen (1621 oder 1622–76) (4) . Von Bedeutung sind auch die Schelmenromane des Oberösterreichers Johann Beer (1655–1700), wie „Der simplizianische Weltgucker“ und „Jucundi Jucundissimi wunderliche Lebensbeschreibung“. 69 Die literaturübersicht Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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