Literaturräume, Schulbuch
68 die literatur des barock (1600–1720) Memento mori Eine Generation nach Opitz kann sich kaum jemand noch an die Zeit des Friedens erinnern. Viele Dichter erle ben das dreißigjährige Morden vom Anfang bis zum Ende. Andreas Gryphius ist der hervorragendste Vertreter dieser Generation. Elend, Tränen, Trauer und das „Memento mori“ – „Denke daran, dass du sterben musst“ – sind die wiederkehrenden Motive seiner Gedichte. In den Liebesgedichten dieser Zeit stehen einander Liebes freude und Todesgewissheit schroff gegenüber. Verurteilung der Politik Neben der emotional bestimmten Lyrik, die über Krieg und Vergänglichkeit klagt, legen Autoren wie Friedrich Logau in ihren Epigrammen die Gründe und Auswirkungen der religiösen Auseinandersetzungen und des Krieges bloß. Religiöse Texte: Mystiker und Prediger haben das Wort Geistliche Dichtung als Trost und Mahnung Krieg, Pest, Hungersnöte führen auch zu tiefer Religiosität. Mystische Schriften, geistliche Gedichte, Predigten, heute noch in den Gottesdiensten gesungene protestantische und katholische Kirchenlieder (Paul Gerhardt: „O Haupt voll Blut und Wunden“, „Befiehl du deine Wege“, „Nun ruhen alle Wälder“) sind die literarischen Zeug nisse persönlichen Glaubens und kirchlicher Ermahnung und Trostspendung. Die Mystik – paradoxe Sprache, erotische Metaphern Das Irdische zu überwinden, mit Gott direkt in Verbindung zu treten, das ist das Bestreben der Mystik. Angelus Silesius (1624–77) versucht in seinemWerk „Der cherubinische Wandersmann“ diese Verbindung mit Gott aus zudrücken (2) . Die Unmöglichkeit, das Wesen Gottes zu erfassen, führt zu einem sprachlichen Umkreisen dieser Themen mit Metaphern, Antithesen und Paradoxa: „Ich bin so groß als Gott / Er ist als ich so klein: Er kann nicht über mich / ich unter Ihm nicht seyn.“ Manche Mystiker und Mystikerinnen wie Johann Rist (1607–67), der Jesuit Friedrich Spee (1591–1635) und die Österreicherin Catharina Regina von Greiffenberg (1633–94) fassen ihre persönlich erlebte innige Verbindung mit Gott in zugleich religiöse und erotische Metaphern: Christus wird zum „Süßesten JEsu“ , zum „mächtigen Liebes-GOtt“ , der Heilige Geist zum „wehrtesten Hertzens-Schatz“ , die „Seele schreyet und begehret verwundet zu seyn“ vom Kuss des Mundes Jesu. Spee: ein Kämpfer gegen den Hexenwahn Die Bedeutung Friedrich Spees (1591–1635) liegt nicht nur in seiner Dichtung, sondern auch in seinem Kampf gegen den Hexenwahn. Missernten, Pest, Kriege beherrschten das 16. und 17. Jahrhundert. Für alles Negative wurden – und werden auch heute noch – Sündenböcke gesucht. Häufig sind Frauen Opfer der Sündenbockstra tegie. Doch es gab auch Widerstand. Spees Buch „Cautio criminalis“ (1631) ist eine der bedeutendsten Schriften gegen die Hexenprozesse. Spee klagt die Fürsten an, die wegschauen, wenn ihre Untertanen gequält werden, verurteilt die Geistlichen, die mitmachen, und die Richter, die Prozesse führen, deren Ausgang von vornherein feststeht. Spee ist auch einer der ersten, der die Abschaffung der Folter fordert. Einen Mordanschlag überlebte Spee nur knapp. Besonders wandte sich Spee gegen eines der berüchtigsten Bücher, den 1487 erstmals gedruck ten und immer wieder neu aufgelegten „Hexenhammer“, ein „Handbuch“, wie man „Hexen“ aufspüren konnte. Will ein Richter wissen, ob eine Frau eine Hexe sei, so solle er laut „Hexenhammer“ zum Beispiel darauf achten, ob sie weinen kann, wenn sie vor ihm steht oder er sie der Folter aussetzt. Dies ist nämlich als das sicherste Zeichen auf Grund der alten Überlieferung von glaubwürdigen Männern und indem die eigene Erfahrung es lehrt, so sehr befunden worden, dass, auch wenn er sie zum Weinen unter Beschwörungen ermahnt und antreibt, sie das, nämlich Tränen vergießen, nicht kann, wenn sie eine Hexe ist. Sie wird freilich weinerliche Laute von sich geben und versuchen, Wangen und Augen mit Speichel zu bestreichen, als wenn sie weinte, bezüglich dessen die Umstehenden vorsichtig aufpassen müssen. 2 4 6 8 10 12 Nur zu Prüfzwecken – Eig ntum des Verlags öbv
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