Literaturräume, Schulbuch
Noch viele Narreteien Andere Kapitel des „Narrenschiffs“ tragen die Titel „Von Völlerei und Prassen“, „Von unnützem Wünschen“, „Von vielem Schwatzen“, „Von Trägheit und Faulheit“, „Heiraten des Geldes wegen“, „Schlechtes Beispiel der Eltern“. Alle „Narren“ des Textes und sämtliche Holzschnitte finden Sie zum Beispiel unter http://de.wikipedia . org/wiki/Narrenschiff 57 Der leseraum 3 Ein Narr findet Eingang in die Weltliteratur „Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel“ (1515) Wer ist Till Eulenspiegel? Angeblich ist er in Mölln im Norden Deutschlands 1350 gestorben, Dil Ulenspie gel. Ob er tatsächlich eine historische Person ist, bleibt unklar. Niederdeutsch „ulen“ bedeutet kehren, fegen, „Spiegel“ steht in der Jägersprache für Hinterteil. Der Name dürfte also eher ein bildhafter Ausdruck dafür sein, was Eulenspiegel will: die Leute dank seines Witzes „reinigen“ – von Dummheit, Lastern, üblen Ge wohnheiten. Charakteristisch für Till Eulenspiegel, so die Übertragung des Namens ins Hochdeutsche, ist sein Spiel mit der Mehrdeutigkeit der Sprache. Indem Till die Formeln und Metaphern des täglichen Sprachgebrauchs anders deutet als seine Gesprächspartner und sie meist wörtlich nimmt, stiftet er Verwirrung. Lesen Sie einen Ausschnitt in einer neuhochdeutschen Fassung. Till Eulenspiegel in Hamburg Einst kehrte Eulenspiegel im „Roten Löwen“ ein und verlangte kurz und barsch für sein Geld eine gute Suppe, forderte dann auch noch ein Stück gebratenes Rindfleisch und Gemüse für sein Geld und ließ sich alles trefflich schmecken. Der Löwenwirt machte einen höflichen Bückling über den andern und fragte, ob dem Herrn auch ein Glas Wein beliebe. „Freilich ja“, antwortete Eulenspiegel, „wenn ich für mein Geld etwas Gutes haben kann.“ Der Wein war gut, und Till trank ihn mit großem Behagen, schnalzte mit der Zunge und wischte sich den Mund, wie einer, dem es trefflich geschmeckt hat. Dann zog er einen Kupferpfennig aus seiner Tasche und sagte: „Da, hier, Herr Wirt, nehmt mein Geld!“ Der Löwenwirt machte große Augen und wusste lange nicht, ob er es für Ernst oder Scherz nehmen sollte. Als Till aber ganz unbefangen Miene machte davonzugehen, vertrat er ihm den Weg und sagte: „Was soll das heißen? Ihr seid mir einen Doppelschil- ling schuldig und gebt mir einen lumpigen Pfennig.“ „Ich habe für keinen Doppelschilling Speise von Euch verlangt, Herr Wirt, sondern für mein Geld“, versetzte Eulenspiegel. „Hier ist mein Geld, mehr habe ich nicht, und habt Ihr mir zuviel dafür gegeben, so ist‘s Eure eigene Schuld.“ „Ihr seid ein durchtriebener Schalk“, erwiderte der Löwenwirt, „und hättet wohl etwas anderes verdient. Indessen, ich schenke Euch die Mahlzeit und diesen Schilling noch dazu, nur schweigt von der Geschich- te und geht morgen zum Bärenwirt gegenüber und macht es mit dem ebenso!“ Till steckte schmunzelnd das dargebotene Geldstück ein, dann griff er nach der Tür, wünschte dem Wirt einen guten Tag und sagte: „Bei Eurem Nachbarn, dem Bärenwirt, bin ich schon gestern gewesen, und der gerade hat mich zu Euch geschickt. Damit Ihr aber Euer Geld nicht nutzlos vergeudet habt, hört meinen Rat: „Vertragt Euch mit Eurem Nachbarn und merkt Euch das Sprüchlein: Wo zwei sich stritten, erfreut es nur den dritten!“ 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 Till Eulenspiegel AUFGABE > Auf welcher von Eulenspiegel wörtlich und ernst genommenen, vom Wirt aber wie allgemein üblich als metaphorische Redensart interpretierten Redewendung beruht der Witz der Erzählung? AUFGABE > Besuchen Sie diese Seiten und stellen Sie fest, welche weiteren Narrheiten der Autor anprangert! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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