Literaturräume, Schulbuch
Magdalia: Das wäre zu vermeiden, wenn du danach strebtest, selbst möglichst gebildet zu sein. Antronius: Dazu fehlt mir die Zeit. Magdalia: Wieso? Antronius: Weil ich sie nicht habe. Magdalia: Du hast keine Zeit, dich zu bilden? Antronius: Nein. Magdalia: Was hindert dich? Antronius: Ausgiebiges Beten, Besorgung des Hauswesens, Jagden, Pferde und der Dienst bei Hof. Magdalia: Dann ist dir das also wichtiger als Bildung? Antronius: Das pflegt bei uns so zu sein. […] Magdalia: Hältst du den für einen Menschen, der weder Bildung besitzt noch sie haben will? […] Antronius: Die Bücher rauben den Frauen viel von ihrem Verstand, und sie haben ohnehin zu wenig. Magdalia: Wie viel ihr Männer habt, weiß ich nicht. Ich möchte jedenfalls das wenige, das ich habe, lieber für ordentliche Studien verwenden als für das sinnlose Hersagen von Gebeten, für nächtelange Trinkgelage und das Leeren riesiger Humpen. Antronius: Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand. Magdalia: Und das Gerede von Saufbrüdern, Possenreißern und Hanswursten bringt dich nicht um den Verstand? Antronius: Nein, es vertreibt die Langeweile. […] Irgendwie ist es doch so: Wie ein Sattel nicht zum Ochsen, so passt die Bildung nicht zur Frau. Magdalia: Aber du kannst nicht leugnen, dass ein Sattel noch eher zum Ochsen passt, als die Mitra 1 zum Esel oder Schwein. […] Ebenso war früher einmal ein ungebildeter Abt ein seltener Vogel; heutzutage ist nichts häufiger als das. […] Wenn ihr euch aber nicht in Acht nehmt, wird es noch soweit kommen, dass wir in den theologischen Schulen den Vorsitz führen und in den Kirchen predigen. Wir werden eure Mitren in Besitz nehmen. Antronius: Das möge Gott verhüten. Magdalia: Nein, es wird an euch liegen, es abzu- wenden. Wenn ihr euch weiterhin so verhaltet wie bisher, werden eher die Gänse auf die Kanzel steigen, als dass sie noch länger euch stumme Hirten ertragen. […] Antronius: Dass ich diesem Weib begegnen musste! Wenn du uns einmal besuchst, werde ich dich höflicher empfangen. Magdalia: Wie denn? Antronius: Wir werden tanzen, reichlich trinken, jagen, spielen und lachen. Magdalia: Ich habe allerdings Lust, schon jetzt zu lachen. 55 Der leseraum Erasmus von Rotterdam INFO (1469–1536) ist der führende Humanist seiner Zeit: Illegitimes Kind eines Priesters und einer Arzttochter, verliert er mit 14 seine Eltern, wird zum Eintritt ins Kloster genötigt. Früh aufgefallen wegen seines Verstandes, wird er vom Klosterleben entbunden und studiert in Paris. Seine Angriffe gegen die Entartung der Kirche bereiten die Reformation mit vor. Erasmus hält sich von ihr aber bewusst fern und strebt einen Ausgleich zwischen den Konfessionen an. In den späteren Lebensjahren hat Erasmus viele Kontroversen auch mit manchen seiner Anhänger, unter anderem auch deshalb, weil er aus Risikoscheu dem verfolgten und kranken Humanisten Ulrich von Hutten seine Hilfe verweigert. 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 1 Bischofsmütze AUFGABE > Tragen Sie den Text mit verteilten Rollen ausdrucksvoll laut vor. Überlegen Sie, wie Sie die Personen anlegen möchten: den Abt eventuell tölpelhaft oder machtbewusst oder gleichgültig oder sehr zum guten Essen und Trinken geneigt ...; die Dame entweder schnippisch oder selbstbewusst oder ironisch oder zornig ...! Erstellen Sie die folgende Übersicht (eventuell in einer Tabelle in Ihrem Heft): a) Für den Abt wichtig e) Von der Dame abgelehnt b) Vom Abt abgelehnt f) Begründungen der Dame c) Begründungen des Abtes g) Anschauungen des Abtes darüber, d) Für die Dame wichtig was eine Frau darf/nicht darf Nur zu Prüfzw cken – Eigentum des Verlags öbv
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