Literaturräume, Schulbuch
44 DIe DIchtung Des spätmIttelalters (1250–1450) mit scheinheiligen Worten die Ehre abzuschneiden versteht, und wer hinterrücks verleumdet, der gilt heute als rechtschaffen. […] Die Turniere, wie sie früher waren, werden verachtet; dafür sind die heutigen aufgekommen. Früher hörte man den Herold rufen: Heißa, Ritter, sei doch fröhlich! Jetzt ruft man den lieben langen Tag: Los, jage, Ritter, los, jage, jag! Stich zu, stich! Schlag drein, schlag zu! Blende den, der vorher sehen konnte! Hau mir dem den Fuß ab; schlag mir diesem die Hand ab! Diesen sollst du mir aufhängen und jenen Reichen fangen: der zahlt uns bestimmt hundert Pfund Silber! […] Die Bauern im ganzen Umkreis erleben alles andere als Freude an mir. Ihre Kinder müssen sich mit Wasserbrei begnügen. Ja, ich tue ihnen noch viel Schlimmeres an: dem drücke ich ein Auge aus, diesen hänge ich in den Rauchfang, diesen werfe ich gefesselt auf einen Ameisenhaufen, jenem ziehe ich mit einer Zange die Haare einzeln aus dem Bart, einem anderen reiße ich die Kopfhaut herunter […]. Was die Bauern besitzen, das gehört alles mir. Das rasche Ende Die Erzählung strebt einem schnellen Ende entgegen. Helmbrecht wird mit seinen Kumpanen gefangen genommen, die Kumpane werden ge hängt, Helmbrecht wird geblendet. Er sucht den Weg zum Vater, doch „der behielt in niht: er treip in ûz“ . Die Solidarität des Vaters mit den ge schundenen Bauern ist stärker, wenn auch dem Vater wegen der Abwei sung des Sohnes „sîn herze krachte“ . Helmbrecht irrt blind ein Jahr lang umher, da entdecken ihn Bauern, die er geschändet und beraubt hat: „Los! Drauf!“ riefen sie da und stürzten sich alle zusammen auf Helmbrecht. Wie sie sich so mit Prügeln kräftig an ihm rächten, schrien sie: „Achte auf deine Kappe, Helmbrecht!“ Was der Büttel 1 vorher an ihr heil gelassen hatte, das wurde nun ganz zerfetzt. Ein schlimmes Bild bot sich: INFO Kein Ritteressen ohne Bauern Die Blüte der Höfischen Kultur zwischen 1170 und 1250 fußt wesentlich auf einem bis dahin unbekannten landwirtschaftlichen Aufschwung. Durch Rodungen wurde neues Ackerland gewon nen, die Viehwirtschaft wurde intensiviert, der Einsatz tech nischer Geräte, wie Wendepflug, Schubkarren, vierrädriger Wagen, Flaschenzug, Wasserund Windmühlen, wurde verbessert. Deshalb bleibt die höfische Zeit von Hungersnöten verschont. Von den etwa 8 bis 10 Millionen Menschen in Mitteleuropa leben 90% auf dem Land, davon sind der Großteil Bauern. Trotz allem bleibt der Bauernstand missachtet. INFO Die Ritter und die Bauern – die Rache Immer wieder berichten Quellen vom Widerstand einzelner Bauern. Nicht nur Helmbrecht geht es an den Kragen. So berichtet eine Chronik vom Ende des franzö sischen Ritters Arnold von Ardres um 1250, der sich seinen Bauern gegenüber rücksichtslos ausbeu tend verhielt. Ihm wurde die Nachricht zugesteckt, ein Bauer fälle gerade im herrschaftlichen Wald eine Eiche. Kaum hatte der Ritter den bezeichneten Ort im tiefen Wald erreicht, wurde er von Bauern vom Pferd gerissen und ermordet. 1 Gerichtsdiener 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 2 4 6 8 10 AUFGABE > Schlagen Sie auf Seite 19 f. die Werte des ritterlichen Tugendsystems nach und vergleichen Sie anhand des „Helmbrecht“, welche Tugenden verletzt werden oder verschwunden sind! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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