Literaturräume, Schulbuch
43 Der leseraum Liebster Vater […] Es kann nun nicht anders sein, als dass ich mir unbedingt einmal die Luft bei Hofe kräftig um die Nase wehen lassen muss. […] Gott soll mich strafen, wenn ich dir jemals wieder die Ochsen ins Joch spannen und den Hafer für dich aussäen würde. Das gehörte sich wirklich nicht bei meinen langen blonden Haaren, meinen gekräuselten Locken und meinem prächtigen Rock und meiner kostbar-kunstvollen Kappe. […] Nein, ich helfe dir niemals wieder ackern. Der junge Bauer will Ritter werden: der Reiz des feinen Essens Trotz der Ermahnungen will der Sohn nicht auf den Vater hören und führt noch weitere Gründe für seinen Wunsch an, den Bauernstand zu verlassen: Trink du nur Wasser, bester Vater, ich jedenfalls will Wein trinken. Iss du nur ruhig Grütze, so will ich das essen, was dort Brathuhn heißt, das lass ich mir einfach nicht mehr verbieten! Auch will ich bis zu meinem Tode nur noch Brot aus hellem Weizenmehl essen; zu dir passt Hafer. Endlich in der Welt der Ritter Die Bitten und Befürchtungen des alten Bauern fruchten nichts. Der junge Helmbrecht bricht auf. Schnell findet er Aufnahme in einer Ritterburg. Doch diese Ritter haben nichts zu tun mit dem höfischen Tugendsystem. Bei einem Besuch zuhause erzählt der Junge dem Vater von den Rit tern, bei denen er lebt und deren Sitten er übernommen hat: Das ist jetzt Mode auf einer Burg: Prost, Ritter, Prost! Sauf! Ex! Trink du das aus, so trink ich das! Wie könnten wir je besser leben? Höre, was ich dir erklären muss. Früher saßen die vornehmen Ritter bei den schönen Edelfrauen. Heute sieht man sie in einer Weinstube sitzen. […] Wer zu lügen versteht, der ist obenauf, und betrügen gilt als vornehm. Als hoch anständig gilt, wer einem Menschen 2 4 6 8 10 12 2 4 6 8 2 4 6 8 10 12 Der Begriff „Bauer“ INFO gehört zu einem althochdeutschen Wort „bur“, das Haus, Hütte, Wohnstatt bedeutet. Die Kleidung der Bauern Die Leute trugen normalerweise ponchoähn liche Umhänge, Ärmel kamen erst viel später auf. Den Kopf bedeckten sie mit Kappen aus Filz, die regendicht waren. Zudem wurden über oder um manche Körperstellen Lappen gewickelt, gegürtet oder gebunden. An kalten Tagen hüllte man sich zusätzlich in Decken. Die Schuhe waren selten aus Leder, meist aus Stroh und Holz, manchmal höhere „Töffler“, die im Matsch praktisch waren. Der Speiseplan der Bauern Meist aßen sie Brei, Müsli oder Suppe aus Getreide. Fleisch kam selten auf den Tisch. Als Gemüse kannten sie Kohl, Rüben und einige Lauchsorten, auch Pilze und wilde Beeren wurden gesammelt. Brot kam nicht täglich auf den Tisch, denn oft gab es nur einen einzigen Backofen fürs ganze Dorf. Getrunken wurde, neben Wasser, selbstgebrautes dünnes Bier. Die Ritter und die Bauern – die Regeln INFO Viele mittelalterliche Verordnungen sollten das Verhältnis der Ritter zu den Bauern regeln. Demnach sollte nicht der Befehl, sondern die Bitte die Form des Umgangs zwischen Herrn und Untertan sein. Abgeschlagen werden konnte sie vom Bauern in der Regel nicht. Doch war ein bestimmter Ritus einzuhalten. Der Herr musste sein Vorhaben ankündigen. Wenn er etwas von seinen Bauern haben wollte, dann war dies den Bauern angemessen zu erklären, damit sie die Forderung in Würde akzeptieren konnten. Der um 1275 niedergeschriebene „Schwabenspiegel“ legt die Pflichten auf Gegenseitigkeit fest: Wir sullen den herrn darumbe dienen, daz sie uns beschirmen. Beschirmen si uns nit, so sind wir ine nicht dienstes schuldig. Doch Regeln und Realität waren zweierlei. So berichtet der Mönch Caesarius von Heisterbach um 1240 von einem Ritter namens Ludolf, dem ein Bauer auf der Straße mit seinem Ochsenkar ren entgegenkam. Dabei wurden die kostbaren Gewänder des Ritters mit Schlamm bespritzt. Der Ritter geriet in Wut, zog sein Schwert und schlug dem Bauern den Fuß ab. Dass ein solches Verhalten kein Einzelfall ist, bestätigen zahlreiche Quellen der Zeit. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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