Literaturräume, Schulbuch
Weite Reisen, von Rio bis Tadschikistan einerseits, in die virtuellen Welten der Computerspiele und Internet- Chatrooms andererseits, unternehmen auch die Personen in Kehlmanns Roman „Ruhm“ (2009). „Die schwangere Madonna“ von Peter Henisch (*1943) führt als Roadmovie einen Autodieb unvermutet mit einer schwangeren Schülerin, der Geliebten eines Religionslehrers, zum Showdown in die Gegend von Arezzo, zum Bild der schwangeren Madonna des berühmten Renaissancemalers Piero della Francesca. Eine ganz andere „Fahrt“ unternimmt Peter Handke in seinem Text „Immer noch Sturm“ (2010). Seine „Reise“ führt in die Geschichte des Widerstands der Kärntner Slowenen gegen die NS-Diktatur und in die Geschichte von Handkes slowenischsprachiger Mutter und deren Familie. Eigentlich müssten die Menschen aus den Kriegen und Auseinandersetzungen zwischen den Völkern Lehren gezogen haben. Doch Handke ist skeptisch, ob Frieden und Zusammenleben gesichert sind. Am Ende des Buches meint der Bruder der Mutter: „Es herrscht weiterhin Sturm. Andauernder Sturm. Immer noch Sturm. Ja, wir haben das Unrecht begangen – das Unrecht, hier, gerade hier, geboren zu sein.“ In die untergehenden Welten der alten europäischen Minderheiten, zu den Zimbern, schwedischen Assyrern und den Karaimen, zu Sorben, Sepharden und Gottscheern, führen die Reiseberichte „Die sterbenden Europäer“ (2001) und „Die fröhlichen Untergeher von Roana“ (2009) von Karl Markus Gauß. Mit Prohaska und Rogan in den Weltraum Witz, Satire und die weitestmögliche Reise, die in den Weltraum, mit Stronach, Prohaska, Rogan – gezielt ohne Vornamen – bietet der im Jahr 2020 spielende Roman „Alles klappt nie. Weltraumroman“ von Martin Amans hauser. Eine Satire auf eine altösterreichische Expedition nach Afrika mit historischem Hintergrund ist die Ro- mantrilogie „Menschenfresser“ von Max Blaeulich (2009). Er lässt vier Forscher namens Krumpke, Stackler, Weiss und Kranich zu einer Reise aufbrechen, die das Terrain für eine Kolonie „Österreichisch-Uganda“ sondieren sol len. Sie sind geprägt von Rassismus und der Anmaßung zivilisatorischer Überlegenheit und bereiten bereits die NS-Ideologie vor. Eine kritische „Reise“ in die Welt des Internets unternimmt der Roman „Old Danube House“ (2001) von Walter Grond. Grond stellt eine Linux-Gemeinde dar, die einen quasireligiösen Technik-Glauben aus bildet. Die Menschen projizieren ihre Wünsche in die „Maschinenhaftigkeit“ der Welt und hoffen, dass die virtu elle Welt von Technik, Computern und Internet die Unannehmlichkeiten des realen Lebens ausgleichen kann. Ein Auf und Ab – höchst erfolgreiche, aber meist verrissene Bücher Ein Phänomen ist der Vorarlberger Robert Schneider (*1961). Seine erste Veröffentlichung, der Roman „Schlafes Bruder“ (1992), zählt zu den größten Erfolgen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur überhaupt. Die Aufla ge beträgt mehrere Hunderttausend Exemplare, es gibt Übersetzungen in mehr als 20 Sprachen und eine Verfil mung. Waren die Kritikermeinungen zu „Schlafes Bruder“ zumindest noch zwischen positiv und negativ geteilt – Vorwurf holpriger Sprachbeherrschung –, so wurden die Folgewerke nahezu einstimmig extrem negativ beur teilt, der Autor wurde als „Kitschnudel“ geschmäht. Dennoch riss die Reihe von Schneiders Romanen nicht ab: Auf „Schlafes Bruder“ folgten „Die Luftgängerin“, „Die Unberührten“, „Der Papst und das Mädchen“, „Schatten“, „Kristus“. Erst Schneiders bisher letztes Werk „Die Offenbarung“, ein Buch über die Macht der Musik, insbeson dere der Musik von Johann Sebastian Bach, erhielt wieder überwiegend positive Kritiken. Literaturzeitschriften und Anthologien: notwendig, damit die Literatur weitergeht Zeitschriften wenden sich oft an eine andere Öffentlichkeit als Bücher. Das gilt auch für die Literatur. Literarische Zeitschriften sind weniger der Mode unterworfen als der Buchmarkt und bieten deshalb für eine Vielzahl von Autorinnen/Autoren Platz, speziell für junge, wenig bekannte. Wichtige überregionale österreichische Literatur zeitschriften sind zum Beispiel „Literatur und Kritik“, „manuskripte“, „sterz“, „Wespennest“, „Protokolle“, „Podium“, „Volltext“. Auch Anthologien ermöglichen als Textsammlungen neuen Autoren/Autorinnen eine Plattform ohne die Notwendigkeit, ein ganzes Buch veröffentlichen zu müssen. Ein Beispiel für eine solche Anthologie ist der Band „Zum Glück gibt’s Österreich“. Er bringt provokante, bizarre, satirische Texte, die viel vom Lebensgefühl junger Leute vermitteln, von der Beziehungslosigkeit, die manchmal lässig, manchmal lästig ist, von düsteren Fleischhauern und von ironischen Lobliedern auf unsere schöne Landschaft. 427 grenzenlos Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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