Literaturräume, Schulbuch

422 DIe gegenWartslIteratur – mIt österreIchschWerpunkt Die Jungen Autoren wie Knapp, Rabinovici, Vertlib, Dinev zählen zu den bekannten Autoren, ihre Bücher sind auf dem Buchmarkt präsent. Um auch den Unbekannten, Jungen unter den immigrierten Autorinnen und Autoren eine literarische Plattform zu bieten, hat Milo Dor (1923–2005) kurz vor seinem Tod die Anthologie „angekommen“ mit Texten junger Migrantinnen und Migranten publiziert. Dor ist ohne Zweifel ein idealer Herausgeber, ist er doch selbst ein „Zugereister“, für den der Begriff Heimat nicht einfach zu definieren ist: geboren in Budapest, Kindheit in Jugoslawien, vor allem in Belgrad, dort wegen politischen Widerstands 1942 verhaftet, 1943 nach Wien zwangsdeportiert. Seit den späten 40erJahren prägte Dor als Übersetzer und Autor die österreichische Literatur mit. Aus dem Schreiben der österreichischen Minderheiten Österreicherinnen und Österreicher schreiben nicht nur auf Deutsch, sie schreiben auch auf Slowenisch, Kroa­ tisch, Tschechisch, Ungarisch, Slowakisch, Windisch. Sie dichten auch in Romanes, der Sprache der Roma, und in Jenisch. Drei Beispiele sollen Ihnen einen kleinen Einblick in diese Dichtung geben. Gustav Januš: „Das Dokument“ und „Der erste Schnee“ Die ersten beiden Texte stammen von dem 1939 im südkärntnerischen ZellPfarre/Sele geborenen Gustav Januš. Er gehört mit Florjan Lipuš zu den ersten, die der Literatur der sprachlichen Minderheiten und insbesondere der modernen slowenischsprachigen Literatur in Österreich und darüber hinaus Aufmerksamkeit verschaffen konn­ ten. Naturnähe, Witz, einfache, aber oft satirische Beobachtungen zeichnen die Gedichte von Gustav Januš aus. Sie wurden, so wie die folgenden, auch von Peter Handke ins Deutsche übertragen. Das Dokument Im Kirchtagsgedränge habe ich die Brieftasche verloren, in der etwas Geld war, aber auch das Dokument des Inhalts, dass ich der Gustav Januš bin, gebürtig aus Zell-Pfarre/Sele. Ich habe den etwaigen Finder gebeten, mir wenigstens das Dokument zurückzugeben, denn ohne besagtes Dokument gäbe es keinen Gustav Januš mehr. Es gäbe bloß das Individuum, aber nicht den Gemeinde-, Landes- und Staats-Angehörigen. Wäre etwas wie eine Schnecke oder ein Hase – irgendwo auf dieser Gotteswelt – nicht aber der, der er sein müsste – der Gustav Januš. Wäre ein Wildwuchs, nirgends zu Hause und überall, und stürbe zuletzt namenlos. Auf dem Grabstein stünde nur geschrieben: Hier liegt begraben ein Individuum. – Und das Dokument hat sich gefunden, und ich bin wieder der Gustav Januš, gebürtig aus Zell-Pfarre/Sele. Dokument V gneči na sejmu sem izgubil denarnico, v kateri je bilo nekaj denarja, in pa dokument, da sem Gustav Januš in da sem se rodil v Selah. Prosil sem, kdor jo najde, naj mi vrne vsaj dokument, 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 2 4 6 8 AUFGABEN > Besorgen Sie sich die Anthologie als Klassenlektüre; die eher kurzen Texte eignen sich gut für eine „schnelle“ Lektüre und eine Vorstellung in der Klasse. Besonders interessant könnte eine Präsentation sein, bei der Schülerinnen/Schüler Ihrer Klasse den Text eines Autors/einer Autorin ihrer eigenen Natio­ nalität vorstellen. Dor bietet zum Beispiel Texte aus Ungarn, Serbien, Polen, Bosnien, Montenegro, der Vojvodina, der Türkei, Bulgarien, Russland, dem Iran, der Ukraine an. > Erstellen Sie ein Wortfeld rund um den Begriff „Heimat“ und suchen Sie auch nach Antonymen (Begriffen gegenteiliger Bedeutung)! Welche verschiedenen Assoziationen rufen diese Begriffe bei Ihnen hervor? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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